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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Stämmen heranreifen. Die ständigen Durchforstungen hinterlassen offene, lichtdurchflutete Bestände, die analog zur Biomasse auch nur noch ein Drittel des Kohlenstoffs speichern.
    Hier im Revier Hümmel bieten wir jedes Jahr Praktikumsplätze für Forststudenten an. Zu ihrer Aufgabe gehört es unter anderem, Bilanzen für diese Kreisläufe aufzustellen und das Ganze laienverständlich zu präsentieren. Das erschreckende Ergebnis lautet: Holz schneidet in Sachen Klima keinesfalls besser ab als Erdgas oder Öl. Zwar wächst es laufend nach, ist also ein erneuerbarer Rohstoff. Da genutzte Wälder aber wesentlich weniger Kohlenstoff speichern, muss dieser Ausfall jedem Stück Nutzholz in Rechnung gestellt werden. Umgerechnet auf eine Kilowattstunde Energie aus Brennholz steht fossiles Erdgas in Be zug auf die CO 2 -Emissionen sogar besser da als der vermeintliche Ökorohstoff.
    Da war die schöne Rechtfertigung für meine Pelletheizung dahin. Aus der Traum vom klimaneutralen Haus. Aber nicht nur für mein Haus. Was auf den Brenner in meinem Keller zutrifft, setzt sich bei der Verfeuerung von Biomasse in Kraftwerken fort. Für jedes Stück Nutzholz, egal ob zu Papier, Möbeln oder Brennholz verarbeitet, gilt: Draußen im Wald, wo der Stamm einst geschlagen wurde, wächst zwar ein neuer nach, der in den Folgejahren wieder CO 2 bindet. Gleichzeitig strömt jedoch auf Dauer bei durchforsteten, sonnendurchfluteten Wäldern mindestens noch einmal die gleiche Menge CO 2 aus den Böden. 57 Schade, dass das CO 2 nicht zu hören ist. Würde es zischen und pfeifen, uns gingen sämtliche Argumente für diesen angepriesenen Rohstoff Holz aus. Pro Quadratkilometer entweichen nach meinen Berechnungen unter mitteleuropäischen Verhältnissen bei einem Kahlschlag, der härtesten Form der Holzernte, bis zu 100 000 Tonnen CO 2 in die Atmosphäre.
    Biomasse aus Holz hat einen wichtigen Platz im Kampf gegen den Klimawandel. Würde es nicht mehr als neutral angerechnet, so verfehlten sämtliche Regierungen ihre für die nächsten Jahrzehnte verkündeten Ziele. Da wundert es nicht, dass die Erkenntnisse der Wissenschaftler, von denen einige Regierungsberater sind, nicht berücksichtigt werden. Denn unsere Waldnutzung würde dann als das entlarvt, was sie ist: eine grüne Form der Landausbeutung.
    Der positive Effekt des Wechsels von fossilen zu nachwachsenden Rohstoffen ist also ein modernes Umweltmärchen. In Wahrheit belastet die Forstwirtschaft die Natur teilweise stärker als der Verbrauch von Öl oder Kohle. Umweltschutz beschränkt sich aber nicht nur auf den Gashaushalt der Atmosphäre, sondern betrifft vor allem den Erhalt ganzer Ökosysteme. Und ich möchte hier einmal ganz überspitzt fragen: Entlasten fossile Rohstoffe da nicht gleich doppelt? Wird Öl anstelle von Holz eingesetzt, können die Bäume im Wald stehen bleiben. Zudem lassen sich Äcker intensiver bewirtschaften, nach dem Motto »Traktoren statt Pferde, Kunstdünger statt Mist«. Damit kann pro Hektar mehr produziert werden, was die benötigte landwirtschaftliche Fläche reduziert – vorausgesetzt, wir steigern nicht gleichzeitig den Verbrauch. Auch das entlastet die Landschaft. Dreht man das Rad der Entwicklung hingegen zurück und versucht, fossile Energieträger durch Pflanzen zu ersetzen, leiden unsere Mitgeschöpfe. Denn ein Mitarbeiter des Umweltbundesamts erklärte mir anlässlich der Grünen Woche in Berlin 2009, im vorherigen Jahr seien allein in Deutschland über 3 000 Quadratkilometer Acker randstreifen und andere Stilllegungsflächen verschwunden. Grund sei die steigende Flächennachfrage für Mais, Raps und andere Produkte zur Gewinnung von Bioenergie.
    Ich plädiere nicht für den gesteigerten Verbrauch von Kohle, Öl und Gas. Im Gegenteil, ich bin für Verzicht. Holz gegen Öl, Mais gegen Gas, das verschleiert nur das Erfordernis, unseren Lebensstandard endlich den Möglichkeiten der Erde anzupassen. Warum sollte es so schlimm sein, unser Wirtschaftsniveau auf das der 1960er-Jahre zu senken? Die Natur könnte aufatmen und wir flögen nicht dreimal im Jahr in den Urlaub, sondern führen einmal nach Italien. Genügend zu essen, ausreichend Kleidung und auch ärztliche Versorgung, all das wäre immer noch gesichert, für uns und vor allem unsere Kinder. Aber nein, die Wirtschaft muss wachsen. Obwohl jeder Schüler per Zinseszinsrechnung nachweisen kann, dass dies nicht unbegrenzt so weitergehen kann, mögen wir uns einfach nicht bremsen. Wachstum und

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