Der Wald ist schweigen
brauchen, ja. Dass sie ihn nachhaltig nutzen können, wie ihre Vorfahren, und dann nicht mehr hungern müssen, weil er ihnen genug Früchte und Brennholz und Wild gibt, wenn sie nur ihre verdammten Vorurteile überwinden.«
»Mir war gar nicht bewusst, dass es in Afrika so viel Wald gibt.«
»Die meisten Menschen denken bei Afrika nur an Steppen mit Löwen und Elefanten.«
»Wie haben Sie sich verständigt?«
»Ich kann Kisuaheli.«
»Beeindruckend.«
»Das ist nicht so schwer.«
»Und, hat es funktioniert?«
»Was meinen Sie?«
»War Ihre Arbeit ein Erfolg?«
Diana erinnert sich an die Kindernutten in Mombasa. Den unaufhaltsamen Strom übergewichtiger weißer Touristen, die ihre Lebensart als Standard einfordern, egal, wo sie hinreisen, und so auch den ärmlichsten, staubigsten Bauernbuben im hintersten Winkel der Welt mit ihrer Maßlosigkeit infizieren. Tägliche Duschen, Mehrgangmenüs selbst auf einer Safari im tiefsten Busch, technisches Equipment, um jede erdenkliche Laune zu befriedigen. Willige Frauen mit mageren Taillen und strammen Brüsten. Sie denkt an das Glück, als sie mit Kate und Jo-Jo vor der Hütte die Abendsonne über den frisch beackerten Feldern betrachtete und Maisbrei löffelte. Die Stille. Robs Leidenschaft für das Projekt und wie sie ihn dann eines Tages mit Kates Tochter fand. Sie zwingt sich, der Kommissarin einen Moment lang in die Augen zu sehen.
»Mehr oder weniger. Zumindest in meinen drei Dörfern würde ich sagen, ja.«
»Und weshalb sind Sie nach Deutschland zurückgekommen?«
Er hatte nicht einmal ein Kondom benutzt, die miese kleine Ratte. Das Mädchen ist doch erst 15 , Diana, sie hatte bestimmt kein Aids. Und ich habe ihr auch nichts angehängt, ich habe aufgepasst. Mein Gott, sie wollte es doch auch, jetzt spiel hier nicht den Moralapostel!
»Ich fand einfach, drei Jahre Afrika waren genug.«
»Drei Jahre waren Sie dort. Das ist lange.«
»Es kam mir nicht so lange vor.«
»Keine Probleme, sich wieder einzugewöhnen?«
Diana steht auf und geht zum Fenster.
»Es regnet hier mehr.« Sie merkt selbst, wie lahm das klingt. Der Wald ist hier nicht so gefährlich, will sie hinzufügen, denkt aber an den Toten vom Erlengrund und lässt es bei dem Klischee vom Wetter bewenden.
»Und wie lebt es sich hier im Schnellbachtal?«
»Gut.«
»Ist es nicht ziemlich einsam?«
»Ich mag es so.«
Ja, denkt Diana. Das stimmt wirklich. Eine Wohltat ist es. Die Ruhe. Abgeschiedenheit. Anders würde ich es wahrscheinlich nicht aushalten. Die Rückkehr nach Deutschland war ein Schock gewesen. Kaum war sie durch die Passkontrolle des Düsseldorfer Flughafens getreten, fiel das Land sie schon an, mit seiner Kälte und den unzufriedenen Menschen, die tausendmal mehr besaßen als die meisten Völker und trotzdem ein flackerndes Ich, Ich, Ich in den Augen hatten und in den verkniffenen Mundwinkeln. Selbst die sprichwörtlich rheinischen Frohnaturen waren ihr befremdlich vorgekommen mit ihrem aufgesetzten Individualismus. Ihre Eltern hatten sie vorsichtig in die Arme genommen und auf die Wangen geküsst, ihre Schwester hatte sie kaum eines Blickes gewürdigt. Tamara war jetzt 15 Jahre alt, ein ungelenkes, dürres Mädchen, das in seiner gestärkten weißen Bluse wie ein Klon von Kohls früherer Frauenministerin Claudia Nolte wirkte. Kaum hatte Wilhelm Westermann Dianas Gepäck im Kofferraum des Mercedes verstaut, rutschte Tamara auf den Rücksitz und begann, mit den Fingern in die Luft zu trommeln.
Tamara hat am Samstag ein wichtiges Konzert, erklärte ihre Mutter.
Wabenzi, sagte Diana. In Kenia heißen die Weißen Wabenzi – von Mercedes Benz, ist das nicht treffend?
Sehr treffend. Sag deiner großen Schwester, wo du am Samstag spielst, Tamara.
Im Gürzenich. Die feingliedrigen Finger hörten nicht auf, Partituren in die Luft zu hämmern.
Wow, sagte Diana, das klingt wichtig.
Es ist die Landesmeisterschaft von Jugend musiziert. Tamara hat in diesem Jahr die allerbesten Chancen.
Und was spielst du?
Schubert, Moments musicaux und Liszt.
Wow, sagte Diana wieder.
Sie hatte darauf gewartet, dass ihre Familie sie fragte, was sie in den vergangenen drei Jahren erlebt hatte und warum sie nun auf einmal aus Afrika zurückgekommen war, um als Revierförsterin im Bergischen Land zu arbeiten. Aber eine halbe Stunde später, als der Mercedes in die Garage neben der schmucken Villa in Köln-Rodenkirchen glitt, wartete sie immer noch.
Um sieben gibt es Essen, du kannst dich also
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