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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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Lösung hier irgendwo schlummert und es nur darauf ankommt, die Hinweise richtig zu verstehen. Noch etwas anderes nagt in ihrem Unterbewusstsein, etwas, das noch weniger greifbar ist. Das Gefühl, irgendetwas vergessen zu haben, oder übersehen. Hör mit den Selbstzweifeln auf, Judith, reiß dich zusammen. »Wald, nichts als Wald gibt es rund um den Erlengrund. Keine Straße. Da kommt man nicht zufällig hin. Es muss einfach eine Verbindung zwischen dem Opfer und dem Tatort geben«, wiederholt sie leise. Die beiden Männer antworten nicht, sind in ihre eigenen Gedanken versunken.
    Auf dem Parkplatz der Grillstube verabschiedet sich Hans Edling, er fährt wieder zum Erlengrund. Manni und Judith lenken ihre Autos zum Sonnenhof. Das Schnellbachtal wirkt heute schon beinahe vertraut. Ein junges Mädchen mit braunen Rastazöpfen treibt eine Herde Schafe auf eine Koppel, zwei Männer jäten Unkraut. Von den Gästen ist nichts zu sehen.
    Der kahlköpfige Junge begrüßt sie am Empfang und führt sie zwei steile Holzstiegen hinauf in einen Saal mit Dielenboden. Auf Regalen neben der Eingangstür liegen Kissen, Decken und Matten. Der Dachstuhl mit den dunkel polierten Fachwerkbalken wölbt sich über ihnen wie eine Kathedrale. Auch hier gibt es eine Art Altar mit bronzenen Fabelfiguren und einem Buddha. Schalen mit Reis, Räucherstäbchen und Blütenblättern dienen vermutlich als Opfergaben. Etwa 20 Menschen in Jogginghosen sitzen auf dem Boden und hören augenblicklich auf zu sprechen, als Judith und Manni eintreten. Der Saal muss so groß sein wie die Grundfläche des Hauses, denn in alle vier Wände sind großflächige Fenster geschnitten, an deren Seiten Grünzeug rankt. Es ist ein genialer architektonischer Kunstgriff, denn auf diese Weise wirken die baumbestandenen Hänge draußen zum Greifen nah, beinahe als befände man sich in einem Baumhaus.
    »Die anderen kommen gleich«, sagt der kahlgeschorene Junge und hockt sich auf den Boden.
    Draußen beginnt es zu nieseln. Es muss schön sein, sich allein in diesem Saal auf den Boden zu legen und einfach nur ins Grüne zu schauen, denkt Judith. Nichts tun müssen. Nichts fühlen. Die Pommes frites haben sich in ihrem Magen zu einem schweren Klumpen verdichtet. Sie muss dringend mal wieder einkaufen gehen und sich für die Mittagspause Brote mitnehmen. Warmes, fettiges Essen macht sie unweigerlich viel zu träge. Die Tür öffnet sich und zehn weitere Personen, inklusive Heiner und Beate von Stetten, betreten den Saal. Kurze Zeit später wird die Tür nochmals einen Spalt aufgeschoben und das Mädchen mit den braunen Rastazöpfen schlängelt sich herein, dicht gefolgt von Kermit, dem Rothaarigen. Etwas an den beiden erregt Judiths Aufmerksamkeit. Beinahe sieht es so aus, als würde Kermit erwarten, dass das Mädchen jede Sekunde kehrtmachen und weglaufen wolle. Er ist zu sehr auf die Kleine fixiert, auch wenn er sie nicht berührt, denkt Judith. Sie versucht, den Blick des Mädchens einzufangen. Erfolglos. Die Kleine lässt sich ganz hinten auf den Boden sinken und beginnt an einer ihrer verfilzten Haarsträhnen zu drehen, so dass ihr Gesicht verborgen wird. Kermit setzt sich neben sie. Wie ein Wachhund.
    Manni blättert in der Liste, die Beate von Stetten ihnen am Vorabend ausgehändigt hat, und überprüft die Personalien. 17 Menschen leben fest im Sonnenhof, hinzu kommen in dieser Woche 21 Gäste, von denen keiner bereits in der letzten oder vorletzten Woche im Schnellbachtal war. Wir werden die Listen nehmen und alle Gäste der letzten Wochen anrufen müssen, überlegt Judith.
    »Kennt jemand den Erlengrund?«
    Kopfschütteln bei den Gästen, Nicken bei den Bewohnern.
    »War jemand in den letzten zwei Wochen dort?«
    Kopfschütteln. Nicht in letzter Zeit. Schließlich habe es in den vergangenen zwei Wochen beinahe ununterbrochen geregnet.
    »Kennt jemand einen etwa 35-jährigen Mann mit blonden, schulterlangen Haaren, der im Schnellbachtal lebt oder sogar im Sonnenhof zu Gast war?«
    Noch mehr Kopfschütteln.
    »Aber es wäre doch immerhin möglich, dass ein früherer Gast oder der Begleiter oder Bekannte eines Gastes …?«
    »Ja, möglich wäre das.« Heiner von Stetten hat eine dunkle, sonore Stimme, die den Saal mühelos ausfüllt. »Möglich, ja, aber nicht sehr wahrscheinlich.«
    »Warum?«, fragt Manni.
    »Warum?«
    »Warum ist es nicht sehr wahrscheinlich.«
    »Weil wir die Menschen kennen, die hier ein und aus gehen.«
    »Auch deren Begleiter und

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