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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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denn sein?«
    Himmel!
    »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Es könnte alles sein. Alles, was Ihnen in den letzten Wochen außergewöhnlich vorgekommen ist.«
    Sie steht und kaut auf ihrer Unterlippe. Öffnet den Mund, schließt ihn wieder. Sieht ihn hilfesuchend an. Lächelt. Holt Luft, öffnet den Mund. Genug. Manni strafft die Schultern.
    »Na, auf jeden Fall vielen Dank für Ihre Mithilfe. Und entschuldigen Sie die Störung.«
    »Aber …«
    Etwas in diesem Aber lasst ihn zögern.
    »Ja?«
    »Marc. Mein Sohn. Er ist 16, er kommt viel rum im Tal. Mit seinem Fahrrad. Vielleicht sollten sie mal mit dem sprechen. Wenn es etwas zu bemerken gibt, weiß er es.«
     
    ***
    Gegen 17 Uhr kämpft sich die Sonne für ein paar Minuten durch die Wolken. Vedanja hockt auf der Veranda und spielt mit den jungen Katzen. Ein kleiner Tigerkater wird übermütig. Fängt Vedanjas Zeigefinger mit seinen Vorderpfoten ein und schnappt mit seinen spitzen Milchzähnen danach. Schade eigentlich, dass die Herbstkätzchen meistens den Winter nicht überleben. Vom Haus her ertönt der Gong. Bald ist es Zeit für die Abendmeditation. Vedanja packt den Minikater am Nackenfell und setzt ihn zu seinen Geschwistern. Soll er Spaß haben, solange es geht. Vedanja ist schon fast beim Haus, als der dunkelgrüne Geländewagen auf den Parkplatz fährt. Eine Frau mit blondem Pferdeschwanz steigt aus und winkt. Sie trägt grüne Jeans, einen Parka und kniehohe, matschige Gummistiefel. Die Försterin. Er hat sie schon ein paar Mal mit Laura in der Schreinerwerkstatt gesehen. Sie läuft direkt auf ihn zu, mit gleichmäßigen, schnellen Schritten, wie eine trainierte Läuferin.
    »Können Sie sich das bitte mal ansehen?« Sie streckt ihm etwas entgegen.
    »Ich habe dieses Handy im Wald gefunden. Erst dachte ich, es könnte dem Toten gehören. Aber es lag ganz woanders. Kennen Sie diese Zeichen? Kann es sein, dass das Gerät jemanden vom Sonnenhof gehört? Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich habe einen ähnlichen Schriftzug schon einmal hier am Haus gesehen und – Sie vermissen doch niemanden von hier, oder?«
    Ihre Augen leuchten moosgrün. Wie passend zu ihrem Beruf, denkt er. Er nimmt das Mobiltelefon in die Hand, betrachtet den goldenen Schriftzug. DARSHAN’S. Er fühlt, wie sein Puls beschleunigt. Ganz ruhig, Alter, ganz ruhig. Einatmen. Ausatmen.
    »Nein, wir vermissen niemanden. – Das ist das OM.«
    »Das OM?«
    »Ja, ein Sanskrit-Zeichen. Das älteste Wort der Welt. Das ursprünglichste aller Mantren.« Die Worte geben ihm Kraft. Die Försterin sieht aus, als reiche ihr diese Erklärung nicht.
    »Ursprünglich hieß es AUM.« Er malt einen Kreis in die Luft. »A U M. Drei Buchstaben, die alles umfassen. Der Anfang von allem. Das Ende. Dreifaltigkeit. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Schöpfung – Erhaltung – Zerstörung. Die ganze Welt, das ganze Universum, alle Veränderungen, wirklich alles, wenn du so willst.«
    Der Gong ertönt zum zweiten Mal.
    »Wo hast du das Handy denn gefunden?«
    Sie macht eine vage Handbewegung. »Im Wald, in der Nähe von der B 55.«
    »Also nicht …« Er weiß nicht, wie er das fragen soll.
    »Nein, natürlich nicht da, wo sie den Toten fanden, sonst hätte ich es der Polizei gegeben.«
    Er umfasst das Handy fester.
    »Ich nehme es am besten mit in unser Büro.«
    »Wissen Sie denn, wem es gehört? Gibt es bei Ihnen jemand, der Darshan heißt?«
    Die Erinnerung ist eine Welle, die über ihm zusammenzuschlagen droht. Darshan. Wie sie ihn immer angesehen hat. Einen Moment lang ist er wieder 13, und im Schlafsaal der Jugendherberge drehen sie ihm die Arme auf den Rücken, so lange, bis ihm egal ist, dass sie ihm die Pyjamahose runterziehen und lachen. Fuchspimmel, Fuchspimmel! Schlapp wie ein toter Fisch. Aber sie, sie hatte nicht gelacht.
    »Darshan, ja. Eine Darshan hat hier mal ein paar Monate gelebt.«
    »Jetzt nicht mehr?«
    »Nein.«
    »Haben Sie denn eine Adresse von ihr?«
    »Nein. Wieso?«
    »Na, weil sie ihr Handy bestimmt vermisst. Sie wissen nicht, wo sie jetzt ist?«
    »Die Leute hier kommen und gehen, weißt du.« In seiner Schläfe pocht etwas. Sie hatte nicht gelacht, aber sie hatte ihn auch nicht begehrt. »Darshan war eine typische Aussteigerin. Kam eines Tages mit ihrem Rucksack hier an, blieb ein bisschen, dann zog sie weiter. Irgendjemand hatte ihr Geld geschickt. Sie wollte nach Indien.« Er sieht den Frankfurter Flughafen vor sich. Geschniegelte, reisefiebrige Menschen und

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