Der Wald ist schweigen
Freunde?«
»Natürlich nicht, aber …« Schweigen.
»Besitzt jemand von Ihnen einen Jagdschein? Ein Gewehr?« Judith beschließt, in die Offensive zu gehen.
»Dies ist ein Aschram.«
»Heißt das Ja oder Nein?«
Jetzt sieht Heiner von Stetten zum ersten Mal ein ganz klein wenig verärgert aus. »Nein, natürlich. Der Yoga-Weg lässt sich mit Gewalt nicht vereinbaren.«
»Nun, immerhin leben Sie auf dem Land, da haben viele Leute einen Jagdschein.«
»Wir nicht.« Sehr kühl. Sehr entschieden.
»Wir überprüfen das natürlich.«
»Tun Sie, was Sie tun müssen, Judith«, Heiner von Stetten steht auf und sieht ihr in die Augen, »tun Sie das. Wenn Sie weiter keine Fragen haben …«
Sie sind entlassen. So fühlt es sich jedenfalls an. Kermit, der Rothaarige, begleitet sie auf den Parkplatz. Als ob er sicherstellen wolle, dass wir auch wirklich fahren, denkt Judith. In seinem Blick liegt etwas, das sie als Schadenfreude interpretiert.
»Vielleicht komm ich mal auf eine Yogastunde vorbei«, sagt sie, um ihn ein bisschen zu ärgern. Aber wenn das gelingt, lässt er es sich nicht anmerken. Er deutet eine Verbeugung an, hält ihr die Autotür auf und lächelt.
***
»Was haben Sie gemacht, bevor Sie hier das Forstrevier übernommen haben?«
Die Kommissarin hat heute ein nervöses Zucken unter dem linken Auge. Immer wieder drückt sie ihren Zeigefinger auf die Stelle, aber das hilft natürlich nichts. Sie sieht fürchterlich aus, das Haar ungekämmt, die Haut blass, so dass die Sommersprossen noch auffälliger hervorstechen, die rotgeränderten Augen strahlen etwas beinahe Fanatisches aus. Das Gelenk ihres Zeigefingers ist gelblich verfärbt vom Nikotin ihrer stinkenden, selbstgedrehten Zigaretten.
»Ich war in Afrika.« Diana wartet auf das übliche ›Oh, in Afrika‹-Geschrei, aber die Kommissarin reagiert kaum.
»Warum?«, fragt sie einfach.
»Weil ich da einen Job bekommen hab.«
»Erzählen Sie mir davon.«
»Was hat das mit dem Toten auf dem Hochsitz zu tun?«
»Vielleicht nichts. Aber das kann ich erst beurteilen, wenn ich mehr darüber weiß.«
»Ich muss Ihnen nichts über mein Privatleben erzählen.«
Die Kommissarin seufzt. »Nein, das müssen Sie nicht. Aber es wäre nett, wenn Sie als Zeugin die Ermittlungsarbeiten unterstützen würden.« Sie hüstelt. »Mein Tag fing heute Morgen um sieben in der Rechtsmedizin an, danach habe ich Zeugen vernommen und mehrere Stunden im strömenden Regen mit den Kollegen von der Spurensicherung den Wald durchkämmt. Jetzt ist es 19 Uhr und ich bin müde. Und Sie haben sicher auch einen langen Tag hinter sich. Sie sind doch auch Staatsbeamtin? Kennen Sie das nicht? All diese Eingaben und Vorladungen und Anträge, dieses ganze Hin und Her – und im Endeffekt geht es dann oft nur um Nichtigkeiten. So viel vergeudete Energie. Haben Sie davon nicht auch manchmal genug?«
»Genau deshalb bin ich ja nach Afrika gegangen, als ich die Chance hatte.« Mist, sie ist der Kommissarin voll auf den Leim gegangen. Aber was kann es schon schaden, wenn sie dieser hartnäckigen Judith Krieger davon erzählt? Anders gibt sie wohl doch keine Ruhe.
»Es war ein Entwicklungshilfeprojekt. Nature – Nurture, eine amerikanische Privatinitiative, die mittlerweile auch von Deutschland aus agiert.«
»Was haben Sie gemacht?«
»Ich war in Kenia und Tansania, hab versucht, den Leuten dort wieder ein Gefühl für ihren Wald zu geben, wenn Sie so wollen. Wald ist in Afrika sehr negativ besetzt. Ein Wohnort der bösen Geister. Die Bäume leben, Voodoo und so weiter.« Wald, der sie anstarrt, ein Flüstern. Baumstämme, die näher rücken. Das Gefühl der letzten Nacht ist einen Moment lang wieder da. Sie schiebt es entschlossen beiseite. »Außerdem gilt es in Afrika heute als rückständig, im Einklang mit dem Wald zu leben. Es passt einfach nicht zu all diesen fantastischen Plastik- und Einwegprodukten, die unsere globalisierte Weltgemeinschaft bis in den letzten Winkel der Erde spuckt. Also meiden die Leute den Wald oder holzen ihn ab, sie setzen stattdessen auf Monokulturen und wundern sich dann, dass ihre Böden unfruchtbar werden und sie von dem bisschen Geld, das sie auf den Plantagen verdienen, nicht satt werden. Mal ganz davon abgesehen, dass die Familienoberhäupter viel lieber den Verdienst in der Stadt verprassen, statt Nahrung für ihre Frauen und Kinder zu kaufen.«
»Und Sie wollten das ändern?«
»Es war mein Job, den Leuten klar zu machen, dass sie den Wald
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