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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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Schülerinnen gilt es zu befragen. Lehrerinnen. Noch immer haben sie nicht herausgefunden, mit wem Andreas Wengert seine Frau betrogen hat. Aber eine der Nachbarinnen schwört, dass das der Fall war – und dass Juliane Wengert es wusste. Der Streit war nicht zu überhören. Und Frau Wengert hatte ja Recht. Schließlich sind die jungen Dinger da jedes Mal ein- und aus gegangen, kaum dass sie verreist war. Bislang hat Manni nur ein paar Schülerinnen gefunden, die zu Lerntreffs bei Andreas Wengert daheim gewesen sein wollen. Alles ganz harmlos, schwören die. Ein toller Lehrer, der sich um seine Schülerinnen mehr kümmerte als die meisten seiner Kollegen. Trotzdem ist Manni sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie ein Mädchen gefunden haben, das die Aussage der Nachbarin bestätigen kann. Mit langen Schritten geht er zur Tür des Vernehmungszimmers. »Wir sprechen später weiter.«
     
    ***
    »Wenn du jemandem versprochen hättest, ein Geheimnis zu bewahren, würdest du dich dann an dieses Versprechen halten, Diana?«
    »Ja natürlich.«
    »Immer?«
    »Ich denke schon.«
    »Und wenn etwas passiert?«
    Diana legt noch ein Holzscheit in den Kamin. Über den Sommer hat sie vergessen, wie ungemütlich nasskalt ein Tag in einem deutschen Wald sein kann, wie zugig ein altes Fachwerkhaus mit Fenstern, die den modernen Wärmedämmverordnungen in keiner Weise entsprechen. Vergessen oder verdrängt, was auch immer. Jetzt ist der November da und damit unweigerlich die nagende Sehnsucht nach Wärme und Licht, nach Afrika. Denk nicht daran, ermahnt sie sich. Schau lieber, dass du dein Leben hier in den Griff bekommst. Sie setzt sich wieder neben Laura auf die durchgesessene Couchgarnitur, die ihr der alte Hesse hinterlassen hat, und antwortet dem Mädchen scheinbar beiläufig, weil eine innere Stimme ihr sagt, dass das wichtig ist, damit Laura weiterredet. Irgendetwas belastet das Mädchen schwer. Aber allen Versuchen, sie auszufragen, weicht Laura beharrlich aus.
    »Was soll denn passieren?«
    Laura zieht die Schultern hoch und kuschelt sich tiefer unter die Wolldecke, ihre durchnässten Jeans hat sie auf einen Stuhl vor dem Kamin zum Trocknen gehängt. »Weiß nicht. Irgendwas, was wichtig ist. Wirklich richtig wichtig, weißt du.« Sie überlegt angestrengt. »Also, wenn du vielleicht jemand anderem sehr helfen könntest, wenn du das Geheimnis verrätst, so was, mein ich.«
    »Dann hättest du ja immer noch ein Versprechen gegeben und müsstest zuerst mit dem reden, dem du das Versprechen gegeben hast.«
    »Und wenn das nicht geht?«
    »Ich nehme an, dann müsstest du abwägen, was wichtiger ist, deine Loyalität oder deine Hilfe.«
    »Hmm.«
    »Was ist eigentlich los, worüber reden wir hier, Laura?«
    »Nichts, gar nichts. Ich spinn nur so rum. Kann ich heute Nacht hier bleiben? Bitte, Diana, draußen ist so olles Wetter und hier bei dir ist es so schön.«
    »Werden sie dich im Sonnenhof nicht vermissen?«
    »Ich hab Bescheid gesagt, dass ich bei dir bin, und morgen früh zur Meditation bin ich ja wieder da.«
    Laura springt auf und kniet sich neben Ronja auf den Teppich. »Bitte, Diana. Ronja will auch, dass ich bleibe, das merke ich ganz genau.«
    Verräterin, denkt Diana amüsiert, denn tatsächlich klopft Ronjas Schwanz Triolen auf den Boden, als wolle sie Lauras Wunsch Nachdruck verleihen.
    »Du müsstest mit dieser alten Couch hier vorlieb nehmen.«
    »Super!«
    Wenn Laura lächelt, sieht sie kindlich aus. Oder ist dieses unbeschwerte Strahlen nicht sowieso eigentlich der angemessene Gesichtsausdruck für eine Siebzehnjährige? Vielleicht wirkt Laura normalerweise viel zu erwachsen und viel zu traurig für ihr Alter? Wie meine Schwester, denkt Diana. Meine kleine Tamara, deren Heldin ich war, bis ich sie für meinen eigenen Traum im Stich gelassen habe. Und jetzt ist sie auf dem besten Weg, bei Jugend musiziert zu gewinnen, ein Star zu werden, aber sie lächelt nicht und vermeidet es, mich an ihrem Leben Anteil nehmen zu lassen, vermeidet es, mir in die Augen zu sehen. Auf einmal sehnt Diana sich ganz unerträglich danach, die Zeit zurückdrehen zu können, noch einmal Tamaras pummelige Kinderhand zu halten, ihr die Welt zu erklären, sie zu beschützen, vor welchem Ungemach auch immer. Sie wendet sich Laura zu. Betrachtet ihre glühenden Wangen, die schlanken nackten Beine und die feingliedrigen Hände, die Ronjas Fell zerwühlen. Warum sollte sie dieses Mädchen, das nun mal einen Narren an ihr

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