Der Wald ist schweigen
gefressen hat und jede Minute seiner Freizeit mit ihr und ihrem Hund verbringen will, zurückweisen? Davon abgesehen ist die Aussicht auf eine Nacht, die sie nicht alleine verbringen muss, durchaus attraktiv.
»Also gut. Aber morgen früh um sechs steh ich auf – und dann ist es Zeit für dich, zu verschwinden.«
Freitag, 7. November
Etwas rüttelt an ihrer Schulter. Diana versucht, es zu ignorieren. Im Traum hat sie alles richtig gemacht. Tamara beschützt, Kates Tochter vor Robs rücksichtsloser Gier bewahrt, Tom ihre Handynummer aufgeschrieben, bevor sie sich davongestohlen hat …
»Ronja ist weg. Bitte, Diana, wach auf.«
Der Traum zerfetzt in rapide verblassende Bilder, mit einem Ruck setzt Diana sich auf, ihr Herz reagiert schneller als ihr Verstand und beginnt zu rasen, alarmiert blinzelt sie in die Dunkelheit. Der Regen prasselt nicht mehr ans Fenster, der Sturm hat sich gelegt.
»Laura?«
»Ja.« Ein Wispern, das die Panik nicht verbergen kann.
»Ich hab sie in den Garten gelassen und auf einmal war sie weg.«
Ganz ruhig, Diana, ganz ruhig. »Der Garten ist eingezäunt, da kann sie nicht raus.«
»Aber ich seh’ sie nicht. Und ich hab gerufen, aber sie kommt nicht. Ich wollte nachschauen, aber ich trau mich nicht allein in den Garten. Irgendwas ist da unheimlich.«
Der Wald hat Augen, Laura merkt das also auch. Jetzt reiß dich bloß zusammen. Dianas Gedanken überschlagen sich.
»Ich seh nach.« Das klingt weit mutiger, als sie sich fühlt. Sie streift Jeans und Pulli über, langt Hesses Schrotflinte unter dem Bett hervor. Tritt, die zähneklappernde Laura dicht hinter sich, ans Fenster. Dunkelheit steht ums Haus. Nichts bewegt sich im Garten.
»Wann hast du Ronja rausgelassen?«
»Vielleicht vor zehn Minuten. Ich hab nicht auf die Uhr geschaut. Sie hat mich geweckt, weil sie an der Terrassentür kratzte. Ich hab gedacht, sie muss mal, und hab ihr aufgemacht. Und dann war sie plötzlich weg.« Lauras Stimme zittert.
»Sie muss nachts nicht.« Diana läuft die Treppe hinunter. Sie muss Ronja suchen. Neben der Verandatür hängt die Taschenlampe, sie schiebt sie in die Hosentasche.
»Da! Da drüben am Hang!« Laura packt Dianas Arm.
»Was? Wo?« Dianas Stimme klingt heiser, sie kann ihren Herzschlag auf der Zunge fühlen.
»Da war was, ein Licht.«
»Bist du sicher? Ich seh nichts.«
»Jetzt ist es weg. Vielleicht hab ich mich getäuscht.«
»Wahrscheinlich. Ronja hat doch außerdem keine Laterne.« Ein mühseliger Versuch, die Anspannung zu lindern. Entschlossen ruft Diana nach der Hündin. Keine Reaktion. Zögernd tritt sie auf die Veranda, die Flinte unter den rechten Ellbogen geklemmt, den Finger am Abzug. Dies ist ein weiteres Kapitel in einem immer absurderen Cowboy-und-Indianer-Spiel mit unbekanntem Gegner, und sie ist nicht bereit, klein beizugeben.
»Bleib hier im Wohnzimmer, Laura.«
»Aber …«
»Tu’s, einfach, ja.«
Wenn sie die Außenbeleuchtung am Haus einschaltet, kann sie sich schneller orientieren, doch wer oder was auch immer dort draußen sein mag, wird dann auch sie sehen. Falls jemand da ist. Schritt für Schritt, immer wieder nach ihrer Hündin rufend und pfeifend, tastet sich Diana in den dunklen Garten vor.
Ganz hinten, neben dem Komposthaufen, ist etwas. Ein kleiner Hügel am Zaun, der nicht dorthin gehört.
»Ronja?« Diana stolpert darauf zu.
Aber der Hügel besteht aus Holzstücken. Jemand hat ein Loch in den Jägerzaun gesägt. Sabotage. Ein perfektes, vom Haus aus nicht einsehbares Schlupfloch für Schwarzwild und Hasen ist so entstanden. Ein Ausgang für Ronja.
»Wahrscheinlich jagt sie irgendeinem Tier hinterher und kommt bald wieder zurück.« Diana gießt Rooibos-Tee in zwei Becher und schiebt einen zu Laura hinüber, die wie ein Häufchen Elend am Küchentisch kauert.
»Trink.«
»Und wenn jemand sie gestohlen hat?«
»Wer sollte sie denn stehlen? Außerdem hätte sie angeschlagen, wenn jemand Fremdes aufs Grundstück gekommen wäre.« Das hätte sie doch, beruhigt sich Diana. Das hätte sie doch.
»Es gibt diese Leute, die Tierversuche machen wollen.«
»Hundefänger. Aber die schneiden keine Löcher in fremde Zäune, das ist denen viel zu gefährlich.«
»Warum hab ich sie bloß rausgelassen?«
Ja, warum hast du das? »Passiert ist passiert, mach dir nicht so viele Sorgen. Neulich ist Ronja auch abgehauen und dann von selbst wiedergekommen. Wir können nichts tun, außer weiterzuschlafen.«
Aber drei Stunden später, als der
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