Der Wald ist schweigen
zuerst habe ich gedacht, ich bilde mir das nur ein. Das ist alles ziemlich verwirrend. Am liebsten würde ich persönlich mit Ihnen sprechen.«
»Gut. Jetzt gleich?«
»Haben Sie nicht Urlaub?«
»Lassen Sie das meine Sorge sein. In etwa einer Stunde bin ich bei Ihnen.«
Diana Westermanns Augen leuchten beinahe unnatürlich hell, in einem transparenten Grasgrün, als sie Judith die Tür des Forsthauses öffnet und sie in eine geräumige Küche mit Weichholzantiquitäten und einem Spülbecken aus Stein führt. Auf ihren hohen Wangenknochen liegen dunkle Schatten. Nichts ist an diesem Morgen mehr von der ungeduldigen Arroganz zu spüren, die sie bei den früheren Vernehmungen an den Tag gelegt hat. Ungefragt erzählt sie von anonymen nächtlichen Anrufen und dem Gefühl, dass jemand im Wald sie beobachtet, ja belauert. Sie berichtet von ihrem Hund, der verschwindet und wieder auftaucht und wie sie ihn am Morgen auf dem Hochsitz am Erlengrund gefunden hat.
»Roma kann doch nicht alleine die Leiter raufklettern. Und dann dieses Loch in meinem Gartenzaun.«
»Aber Ihr Hund war vollkommen unversehrt.«
»Soweit ich das feststellen kann, ja.«
»Frau Westermann, haben Sie Feinde?«
Die Försterin reißt die Augen auf. »Feinde«, wiederholt sie, als höre sie dieses Wort zum ersten Mal.
»Ein Exfreund vielleicht, ein Nachbar, jemand, mit dem Sie auf der Arbeit Probleme haben, jemand aus Ihrer Familie?«
»Nein, ich glaube nicht. Sicher, nicht jeder hier ist über meine Anwesenheit glücklich …«
»Nein?«
»Auf der Arbeit, meine ich. Es gibt nicht mehr so viele Stellen für Revierleiter. Eigentlich sollte jemand anderes meinen Posten bekommen. Ein Mann mit Familie. Nicht eine alleinstehende Frau, die als Hauptreferenz ein Entwicklungshilfeprojekt in Afrika vorweisen kann.«
»Warum haben Sie den Job denn bekommen? Frauenquote?«
»Nein.« Diana Westermann schüttelt heftig den Kopf. »Was für ein grässliches Wort übrigens für eine diskriminierende Einrichtung.«
»Ein unschönes, aber nichtsdestotrotz funktionierendes Mittel, unschöne Zustände ein wenig zu verändern.« Himmel, Judith, reiß dich zusammen, du willst doch jetzt nicht über Frauenpolitik diskutieren.
»Die Kolleginnen, die ich kenne, haben eher Probleme durch die Quote. Ständig müssen sie nachweisen, dass sie trotzdem was draufhaben.«
»Und Sie?«
»Ich komm schon klar.« Jetzt ist die alte Arroganz wieder da.
Judith lässt die Försterin ins Leere laufen, sieht sie einfach an und wartet.
»Natürlich muss ich mich anstrengen, beweisen, dass ich was von meinem Job verstehe – vermutlich mehr, als ich das als Mann müsste.«
»Warum haben Sie den Job denn bekommen?«
»Ich war qualifiziert.« Das klingt merkwürdig lahm.
»Und wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Kollegen?«
»Ich bin ja erst seit Februar hier, da kann man nicht so viel erwarten. Die anderen kennen sich schon seit Jahren. Also erfahre ich nicht immer alles so schnell, wie ich das sollte, die Jungs gehen abends schon mal ohne mich in die Kneipe und unsere Sekretärin bemüht sich, meine Briefe möglichst lange liegen zu lassen.«
»Das klingt nicht gerade nach einem kollegialen Arbeitsklima.« Das klingt, ehrlich gesagt, nach ziemlich viel Einsamkeit, wenn nicht nach Mobbing. Gut möglich, dass dies auch anonyme Anrufe und das Kidnapping eines Hundes beinhaltet.
»Das wird sich schon noch ändern«, sagt Diana Westermann. »In Afrika hatte ich ganz andere Anfangsschwierigkeiten.«
»Was ist mit dem Kollegen, der eigentlich Ihren Job bekommen sollte?«
»Der hat inzwischen eine andere Stelle gefunden.«
»Und die Leute aus Unterbach, mit denen Sie zu tun haben. Holzhändler, Schützenverein und so weiter?«
»Mein Vorgänger, Alfred Hesse, war hier natürlich eine Art Institution, da fällt mir nicht jeder gleich um den Hals.«
Die Försterin hört abrupt auf zu sprechen und streicht sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. Wieder hat Judith das Gefühl, dass sie etwas verschweigt, aus welchem Grund auch immer.
»Bleibt der Sonnenhof«, sagt sie, bemüht, sich ihre Ungeduld nicht anmerken zu lassen. »Da gibt es doch dieses Mädchen, das auf Ihren Hund aufpasst, und diesen Schreiner …«
»… dem ich hin und wieder Holz liefere, ja. Aber wenn ich hier im Schnellbachtal jemanden als Freunde bezeichnen würde, dann sind das Laura und Ben.«
So kommen wir nicht weiter, denkt Judith.
»Seit wann fühlen Sie sich bedroht?«
»Ich weiß es nicht genau.
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