Der Wald: Roman
»Mein Arm, mein Arm.«
Karen kniete sich neben ihn. Er schnappte nach Luft und hielt sich den rechten Unterarm.
»Könnte gebrochen sein«, sagte Nick.
Karen strich dem Jungen über die Stirn. »Wo hast du sonst noch Schmerzen?«, fragte sie.
»Überall.«
»Du bist ganz schön tief gefallen.«
»Ich wollte mich ducken, aber …«
»Ist sonst noch was gebrochen oder verstaucht?«, fragte Julie.
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich glaube nicht.«
Er zuckte und schluchzte, als sie ihn aufsetzten. Vorsichtig zogen sie ihm den Parka aus. Julie leuchtete auf seinen Arm, während Nick den rechten Ärmel bis über den Ellbogen aufkrempelte. Der Unterarm war geschwollen und verfärbt, aber die Haut unverletzt. »Wir brauchen etwas, um den Arm zu schienen.«
»Messer?«, schlug Karen vor.
»Versuchen wir’s.«
Julie schnallte ihren Gürtel auf und nahm die Lederscheide mit dem Messer ab. Vom Griff bis zur Spitze war es fast dreißig Zentimeter lang.
»Das müsste für die eine Seite funktionieren.«
Benny hatte ein ähnliches Messer.
Karen hielt die provisorischen Schienen an beide Seiten des Unterarms, während Nick sie mit Bennys Gürtel festschnallte. »Das muss reichen, bis wir was Besseres finden.«
»Hoffentlich brauchen wir die Dinger nicht«, meinte Julie.
Nick zerzauste Bennys Haar. »Jetzt bist du von uns allen am besten bewaffnet.«
»Meine Pistole«, stöhnte Karen.
Sie und Julie kletterten die Felsen hinauf, um danach zu sehen. Mit Nicks Taschenlampe suchten sie die Gegend ab, in der Karen die Waffe fallen gelassen hatte. Der Lichtstrahl strich über graue Flächen, erkundete dunkle Ecken, drang in Spalten. Julie entdeckte die verlorene Taschenlampe. Sie war kaputt. Die beiden suchten weiter.
»Sie muss hier irgendwo sein«, sagte Julie.
»Sollte man meinen.«
Immer wieder gingen sie dieselbe Gegend ab.
»Vielleicht ist sie da runtergefallen«, sagte Julie und trat dicht an die Kante.
»Habt ihr sie?«, rief Nick herauf.
»Nein.«
Sie kletterten hinunter und suchten am Fuß des Felshaufens.
Julie sah ihren Bruder an. »Du sitzt doch nicht darauf, oder?«
»Nein«, antwortete er.
»Ich probier auch mal mein Glück«, sagte Nick.
Julie reichte ihm die Taschenlampe. Sie blieb unten, während Karen Nick nach oben zu der Stelle führte, an der sie die Pistole fallen gelassen hatte. »Genau hier«, sagte sie, als sie einen Meter von der Kante entfernt stand.
»Hast du sie geworfen oder einfach losgelassen?«
»Ich habe nur meine Hand geöffnet, um Benny festzuhalten.«
»Vielleicht hast du sie weggetreten.«
»Könnte sein. Wenn ja, hab ich’s nicht bemerkt.«
Karen zeigte ihm, wo Julie die Taschenlampe gefunden hatte. Sie suchten dort und gingen nebeneinander kreuz und quer über den zerfurchten Steinhügel.
»Sie könnte in eine der Spalten gerutscht sein«, sagte Nick schließlich.
»Wo auch immer sie ist«, meinte Karen, »ich glaube nicht, dass wir sie finden. Jedenfalls nicht heute Nacht. Warum kommen wir nicht morgen früh zurück, wenn es hell ist?«
»Morgen früh ist es zu spät«, sagte Nick.
Sie kletterten wieder hinab und suchten eine Weile im Umkreis von Benny und Julie.
»Das können wir vergessen«, sagte Julie.
Karen zog ihren Gürtel aus und band ihn zu einer Schlinge für Bennys Arm. Dann half sie dem Jungen auf die Beine.
»Was jetzt?«, fragte Julie.
»Lasst uns zurück zu den Rucksäcken gehen«, sagte Nick. »Ich habe Aspirin in meinem Erste-Hilfe-Set. Vielleicht hilft das Benny gegen die Schmerzen.«
»Wir machen ein schönes Feuer und wärmen uns auf«, fügte Julie hinzu.
»Und essen was«, sagte Benny. »Ich bin am Verhungern.«
Sie befanden sich in der Nähe des südlichen Endes des Sees. Karen ging mit einer der Taschenlampen voran. Nick, der Benny stützte, folgte ihr. Der Junge konnte einigermaßen laufen, auch wenn er bei jedem hinkenden Schritt wimmerte. Julie bildete mit der anderen funktionsfähigen Taschenlampe und dem Beil die Nachhut.
Karen versuchte, einen möglichst einfachen Weg zu finden. Ihr Lichtstrahl durchbohrte die Dunkelheit vor ihr und strich über den Hang zur Linken. Ohne die Pistole fühlte sie sich sehr angreifbar.
Dadurch, dass sie die Waffe verloren hatte, hatte sie alle in schreckliche Gefahr gebracht. Niemand hatte sie kritisiert, und sie versuchte, sich keine Vorwürfe zu machen, aber, verdammt, sie hatte ihren wichtigsten Schutz weggeworfen, die einzige Waffe, mit der sie einen Angreifer aus sicherer
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