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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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dass sie noch an dem See ist.«
    »Sie wird noch da sein«, versicherte ihr Nick. »Ganz bestimmt. Sie will, dass ich sterbe.«
    Nick zeigte den Hang hinauf und riss Karen aus ihren Gedanken. Er sprach mit Julie. Das Mädchen nickte. Sie setzte sich auf einen Gesteinsbrocken und drehte sich um, damit sie sehen konnte, wie er weiter hinaufkletterte. Karen folgte Benny über die Felsen zu ihr.
    »Wo geht er hin?«, fragte sie.
    Julie zeigte nach oben. Ein Stück über Nick befand sich eine dunkle Spalte im Gestein. »Er will sich das ansehen. Wir sollen hier warten.«
    Sie beobachteten Nick, wie er von Fels zu Fels sprang, eine schräge Steinplatte erklomm und schließlich die schattige Spalte erreichte. Er leuchtete mit der Taschenlampe hinein, dann drehte er sich zu ihnen um, schüttelte den Kopf und begann, wieder hinabzuklettern.
    Karen setzte sich auf einen Stein. Er fühlte sich durch die Jeans kalt und rau an, und die Pistole drückte ihr in den Bauch, bis sie sich auf die Ellbogen zurücklehnte.
    Das Wasser unter ihnen war im Dämmerlicht grau und vom Wind aufgewühlt. Genau auf der anderen Seite des Sees befand sich die Lichtung, auf der sie ihre Rucksäcke zurückgelassen hatten. Die Feuerstelle, ein Stück weiter links, war noch intakt, und die Baumstümpfe und Steine, auf denen sie gesessen hatten, lagen darum herum. Sogar ein Haufen Feuerholz war noch übrig – Holz, das sie nach dem Schwimmen gesammelt hatten. Sie erinnerte sich an das kühle, angenehme Wasser. Wie Flash ihr nachgepfiffen hatte, ehe sie hineingegangen war. Hatten die verrückte Frau und ihr Sohn zugesehen, sie von irgendwo hier oben angeglotzt? Wenn sie nicht schwimmen gegangen wären, wenn der Mann Julie und sie nicht in ihren Badeanzügen gesehen hätte … Schon wieder diese Wenns. Es führte zu nichts, so zu denken. Man kann nicht in die Vergangenheit reisen und die Dinge ändern, was bringt es also, sich Gedanken darüber zu machen?
    Wenn sie in jener Nacht nur auf Benny gehört und die Frau verfolgt und ihr den Beutel abgenommen hätten …
    Nick sprang zu ihnen herunter. »Nur ein Spalt im Felsen«, sagte er. »Er führt nirgendwohin.«
    Sie machten sich wieder auf den Weg. Bald war das letzte Abendlicht verblasst. Unter dem Halbmond wirkten die Felsen grau und trostlos wie ein schmutziges Schneefeld. Ein Schneefeld, das von schwarzen Schatten durchzogen war. Die Schatten überall beunruhigten Karen. Sie griff unter ihr Sweatshirt und zog die Automatik hervor.
    Benny sah sich zu ihr um. »Was ist los?«
    »Nichts Besonderes.«
    »Hast du was gesehen?«
    »Ich mach mir eher Sorgen wegen dem, was ich nicht sehe.«
    »Ich wünschte, Dad wäre hier.«
    »Ich auch.«
    »Meinst du, er ist sauer, wenn er es erfährt?«
    »Nein. Ich glaube, er wird sehr stolz sein. Besonders wenn wir das tun, weswegen wir hergekommen sind.«
    Benny nickte und sah wieder nach vorn. Er schaltete seine Taschenlampe an, leuchtete auf Julies Rücken, dann auf die Steine vor sich.
    Karen knipste ebenfalls ihre Lampe an, aber der helle Strahl schien die Dunkelheit um sie herum nur noch zu vertiefen. Sie hielt sich dicht hinter Benny und leuchtete den Hang hinauf, über die Felsen, in dunkle Spalten. Ihr Rücken fühlte sich ungeschützt an. Sie wirbelte herum, aber in der Lichtschneise waren nur Steine und zuckende Schatten zu sehen. Niemand da, dachte sie. Keiner, der sich anschleicht.
    »Aaahhh!« Der durchdringende Schrei kam von Benny. Sie machte einen Satz nach vorn, während der Junge sich duckte und schützend die Hände vor den Kopf hielt. Ein Coyote sprang von oben auf ihn herab. Benny stolperte auf die Kante zu. Karen eilte zu ihm. Im schwankenden Lichtstrahl sah sie Bennys Beine in der Luft zappeln, als er rückwärtsstürzte. Sie ließ Taschenlampe und Pistole fallen und streckte sich nach ihm. Mit den Fingerspitzen streifte sie einen Hosenaufschlag, dann fiel er. Karen hatte so viel Schwung, dass sie beinahe ebenfalls hinabgestürzt wäre. Sie stand schwankend an der Kante. Ihr Sweatshirt spannte sich über der Brust, und sie wurde zurückgezogen.
    Benny schlug drei Meter tiefer auf die Felsen. Er schrie auf. Jaulend huschte der Coyote davon.
    Julie ließ Karens Sweatshirt los und trat neben sie. »Benny!«
    Der Junge hob den Kopf.
    Eine gebückte Gestalt mit einem Beil eilte über die mondbeschienenen Felsen auf ihn zu.
    »Pass auf!«, schrie Karen.
    »Es ist bloß Nick«, sagte Julie.
    Während sie hinabkletterten, hörte Karen Benny jammern.

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