Der Wald: Roman
heute Nacht. Versprichst du das?«
»Ehrenwort«, sagte Nick.
»Wer kennt eine Geschichte?«, wollte Scott wissen.
»Eine richtig gruselige«, fügte Nick hinzu.
»Karen?«, fragte Arnold.
»Heute ist jemand anderes dran. Ich hab schon genug Unheil angerichtet.«
Zumindest war sie klug genug, um einzusehen, dass sie den ganzen Ärger verursacht hatte.
Scott beugte sich grinsend zum Feuer vor. »Es gäbe da natürlich die wahre Geschichte von Digby Bolles.«
»Ach, Dad.« Julie grinste ihn an.
»Erzähl«, bat Alice. Die Geschichte schien harmlos genug zu sein.
»Ist sie gruselig?«, fragte Benny.
»Hör zu, dann wirst du es erfahren. Halb wahnsinnig vor Kummer ging Digby in die Berge, um nach seiner verschwundenen Tochter Doreen zu suchen.«
» Die Doreen?«, fragte Karen.
»Dieselbe Doreen, die zu Beginn des Sommers zusammen mit Audrey auf so geheimnisvolle Weise verschwunden war. Jedenfalls wanderte Digby durch die Wälder und über die hohen, kargen Pässe und suchte sie überall. Bald ging sein Proviant zur Neige. Aber er kehrte nicht um. Er suchte immer weiter. Er ernährte sich von rohen Streifen- und Eichhörnchen.«
»Igitt«, sage Rose.
»Eichhörnchentatar«, meinte Julie.
»Der Oktober brach an, und Digby geriet in einen fürchterlichen Schneesturm. Aber er suchte weiter. Eichhörnchen fand er keine mehr. Er war halb verhungert. Dann sah er eines Nachts in der Ferne das Licht eines Lagerfeuers. Er stapfte durch den knietiefen Schnee und näherte sich einem einsamen Camper. Als er auf den Mann zuschwankte, war dieser so freundlich, ihm einen Teller Eintopf anzubieten. Aber Digby hatte seinen Appetit auf Eintopf verloren. Der Mann, ein Chirurg auf Angelausflug, wirkte hingegen sehr schmackhaft. Und er war genauso lecker, wie er aussah.« Scott lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste.
»War’s das schon?«, fragte Benny.
»Tolle Geschichte, Papa«, murmelte Julie kopfschüttelnd.
»Was ist dann passiert?«, drängte Rose.
»Tja, der arme Digby ist schließlich verhungert. Ihm ging Dr. Scholl’s aus.«
»Buh«, sagte Julie.
»Das ist ja schrecklich«, keuchte Karen lachend.
»Es war überhaupt nicht gruselig«, beschwerte sich Benny.
»Was Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen.«
Heather sah mit gerunzelter Stirn zu Alice auf. »Ich hab’s nicht verstanden.«
»Schon gut, Süße, das macht nichts.«
»Er hat den Mann gegessen , du Dummkopf«, erklärte Rose.
»Das weiß ich doch. Ich meinte, wenn er Dr. Scholl’s aufgegessen hat und dann gestorben ist, wer hat ihn dann begraben?«
»Das werden wir nie erfahren«, sagte Scott. »Eines der großen ungelösten Rätsel des Lebens.«
»Es ist doch nur eine Geschichte«, beruhigte Alice die Mädchen. »Nichts davon ist wirklich geschehen.«
»Aber wir haben sein Grab gesehen«, sagte Heather.
»Stell dich nicht so doof an.«
Alice warf Rose einen mahnenden Blick zu. »Pass auf, was du sagst, Fräulein.«
»Ich will eine richtige Geschichte«, sagte Benny. »Die war ja nicht mal unheimlich. Sie war nicht schlecht, aber eben nur ein Witz. Ich will eine gruselige Geschichte hören.«
Nick richtete sich plötzlich auf und schlug sich auf die Knie. »Ich weiß was! Lasst uns alle unsere Taschenlampen holen und auf die Suche nach Doreen und Audrey gehen!«
»Cool!«, rief Benny.
Julie wirkte begeistert. »Sie müssen hier irgendwo in der Gegend sein.«
»Dürfen wir, Mum?«, fragte Rose.
»Ich mach nicht mit. Ich hab’s gerade ganz gemütlich.«
Arnold drehte sich zu Scott. »Was meinst du?«
»Ich bin dafür, die Kinder gehen zu lassen, wenn es ihnen Spaß macht.«
»Aber es könnte sich jemand verletzen«, sagte Alice. Eigentlich hatte sie energischer protestieren wollen, aber wenn Scott meinte, es sei in Ordnung …
»Wir passen gut auf«, sagte Nick.
»Und macht keinen Blödsinn. Ich will nicht, dass ihr wieder versucht, die Mädchen zu erschrecken.«
Er hob drei Finger. »Pfadfinderehrenwort.«
»Lauft nicht zu weit weg«, sagte Arnold. »Wir wollen nicht, dass ihr verlorengeht.«
»Nur um den See herum.«
»Vielleicht sollte jemand von uns mitgehen«, schlug Alice vor. »Nur zur Sicherheit.«
»Mein Gott, Mum, es wird schon nichts passieren.«
»Nick ist alt genug, um aufzupassen«, sagte Arnold.
Sie seufzte. »Gut, seid vorsichtig. Nicht, dass jemand fällt und sich ein Bein bricht.«
»Wir passen auf«, versicherte ihr Nick.
Als Benny durch die Dunkelheit eilte,
Weitere Kostenlose Bücher