Der Wald: Roman
Spalte. Die Rückseite ihres dicken Parkas raschelte am Stein entlang. Draußen bückte sie sich, um den Topf auszugießen. Dann stellte sie ihn ab, richtete sich auf und dehnte ihre steifen Muskeln.
Trotz des kalten Windes, der durch ihr Kleid wehte, war Ettie froh, draußen zu sein. Sie schob die Hände in die Taschen des Parkas und lehnte sich zurück, um den engen Eingang zu versperren.
Die Nacht war so dunkel, als hätte jemand eine dicke Decke über den Himmel gelegt und Mond und Sterne versteckt. Das einzige Licht kam von dem Lagerfeuer unten am See. Es flackerte gelb und orange und warf einen Lichtkreis, der die Camper auf der anderen Seite der Flammen erhellte. Die Leute, die vor dem Feuer saßen, waren nur als Silhouetten zu erkennen.
Während sie zu ihnen hinübersah, spürte sie, wie ihr Magen sich verkrampfte. Sie stöhnte und schlug sich mit den Fäusten auf den Bauch. Wenn die Blutzeichen die Wahrheit sprachen … Vielleicht hatte sie sie falsch gedeutet. Sie könnte im Licht des Streichholzes etwas übersehen haben.
In den Zeichen stand, dass Merle sterben würde. Dass auch sie sterben würde. Durch die Hand einiger dieser Leute, die da so friedlich am Feuer saßen.
Aber solche Dinge sind nie sicher, dachte sie. Selbst wenn man die Zeichen richtig deutet, gibt es immer noch Raum für Zweifel, deshalb trifft man seine Vorkehrungen und gibt die Hoffnung nicht auf. Wäre das nicht so, hätte es auch keinen Sinn, sich zu verstecken.
Es gab letztlich immer die Möglichkeit, dass sich die Dinge nicht so entwickelten, wie die Zeichen es sagten. Eine kleine Chance.
Sie könnte versuchen, einen weiteren Zauber auszusprechen, um sich und Merle zu schützen. Sie hatte lange darüber nachgedacht, während sie in der Höhle gewartet hatte, aber es war ihr nicht besonders sinnvoll vorgekommen. Sie war sich ziemlich sicher, dass der Meister diese Leute als Strafe geschickt hatte, deshalb würde Er ihre Magie ohnehin nicht wirken lassen. Aber was war, wenn Er sie nicht gesandt hatte? Er hatte ihnen durch die Blutzeichen eine Warnung zukommen lassen. Warum sollte Er sie warnen, wenn die Leute sie töten sollten? Um sie zu quälen?
Vielleicht waren sie doch nicht in Ungnade gefallen, und ein Zauber würde die Sache abwenden. Einen Versuch war es sicher wert.
Ettie hob den Kochtopf auf. Sie drehte ihn um und schüttelte ihn ein paarmal. Dann trat sie mit einem letzten Blick zu den Gestalten, die in der Ferne um das Feuer hockten, in die Felsspalte. Sie drehte sich zur Seite und quetschte sich hinein. »Merle«, sagte sie, »wir versuchen es mit einem Tarnzauber.« Er antwortete nicht.
Sie hatte erwartet, vom Eingang aus einen flackernden Lichtschein zu sehen. Aber der Bereich vor ihr war dunkel. »Merle, was ist mit der Kerze passiert?« Er antwortete immer noch nicht. In Etties Kopf begann es heftig zu pochen.
»Antworte mir, Merle. Hör auf mit dem Blödsinn.«
Sie trat aus der Spalte in die Höhle und warf den Topf hinein. Er landete mit einem leisen Plopp auf einem der Schlafsäcke. Sie griff in die Jackentasche und zog ein Heftchen Streichhölzer hervor. Ihr linker Fußknöchel wurde gepackt und zur Seite gerissen. Sie stürzte nach vorn in die Dunkelheit. Ihr Parka und ein Schlafsack dämpften den Aufprall. Als sie aufstehen wollte, warf sich jemand auf sie und drückte sie zu Boden. »Merle!« Kalte Finger gruben sich in ihren Hals und drückten zu. »Nein!«, schrie sie.
Sie griff nach oben, umklammerte die Handgelenke und versuchte, sie wegzuzerren. Merle war zu stark. Es klingelte in ihren Ohren. Die Schwärze vor ihren Augen erglühte rot.
Später wachte sie auf.
In ihrem Kopf hämmerte der Schmerz. Sie lag auf der Seite. Als sie versuchte, sich zu bewegen, stellte sie fest, dass sie gefesselt war – die Hände waren hinter den Rücken gebunden, die Beine an Knien und Füßen verschnürt. Sie wollte die Beine ausstrecken, aber die Füße waren an den Handgelenken befestigt.
»Merle?«, fragte sie.
Sie hörte nur den eigenen Atem und Herzschlag und das Heulen des Windes draußen.
»Merle, bist du da?«
Dumme Frage, dachte sie. Natürlich ist er nicht da. Er ist hinter den Frauen her.
19
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Flash blies auf seine dampfende Tasse und trank einen Schluck Kaffee. Auf der anderen Seite des Feuers beugte sich Benny mit einem irren Ausdruck auf dem Gesicht vor und fuhr mit seinem Gedicht fort: »Und ich schrie: ›Es war sicher Oktober / In der nämlichen Nacht, da ich hier / Im Vorjahr
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