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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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hatten, stand er reglos da, ließ die Arme an den Seiten herabhängen und starrte auf die schwarze aufgewühlte Wasserfläche.
    »Dad?«
    Flash schüttelte den Kopf. Seine Stimme war nur ein Flüstern, gerade laut genug, um es durch den Regen und Wind hören zu können. »Er war tot. Ich weiß, dass er tot war.«

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    Mit einem plötzlichen Keuchen setzte sich Karen auf. Scott legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie zuckte zusammen und sah ihn aus geweiteten, wässrigen Augen an. »Ganz ruhig«, sagte er. Sie hob eine Hand vors Gesicht und stöhnte. Dann warf sie sich nach vorn, streifte den Schlafsack ab, streckte den Kopf aus dem Zelt und erbrach sich.
    Scott fand die zwischen ihren Schuhen eingeklemmte Wasserflasche und kroch damit zu ihr. Karen hing auf allen vieren halb aus dem Zelt heraus. Sie hatte sich zu Ende übergeben und starrte in den Regen. Scott sah vier dunkle Gestalten mit Taschenlampen zwischen den Felsen und Bäumen herumlaufen.
    »Was machen …«, ächzte Karen.
    »Ich weiß es nicht.« Er reichte ihr die Wasserflasche. Während sie ihren Mund ausspülte und in langen Zügen trank, blickte Scott zu der Stelle, wo der Mann gestürzt war. Er sah einen zerknitterten Umriss. Gut, sie hatten ihn bedeckt. Er tätschelte Karens nassen Rücken in dem Sweatshirt. »Lass uns ins Trockene gehen.«
    Karen kroch rückwärts ins Zelt und setzte sich auf den Schlafsack. Sie zog das Sweatshirt aus und trocknete sich damit die Haare ab. Dann legte sie sich hin. Scott deckte sie zu. »Kommst du zu mir?«, fragte sie. Ihre Stimme war leise und hoch wie die eines Kindes, bevor es zu weinen anfängt.
    Scott schlüpfte zu ihr in den Schlafsack. Er schloss den Reißverschluss, drehte sich zu ihr und umarmte sie vorsichtig.
    »Was ist passiert?«, fragte sie mit derselben Stimme.
    Scott streichelte ihren Rücken. Die Haut war an den Schultern feucht und kalt, aber tiefer, wo der Regen sie nicht getroffen hatte, trocken, weich und warm. »Kannst du dich nicht erinnern?«, fragte er.
    »Ich erinnere mich, dass ich auf dich gewartet habe. Ich wusste nicht, ob du kommen würdest. Wer hat mir das angetan, Scott?«
    »Ich weiß es nicht. Ein Fremder.«
    Sie umarmte ihn fest und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals.
    »Du kannst dich an nichts erinnern?«
    »Nein«, murmelte sie. »Aber ich weiß trotzdem, was er getan hat …« Sie begann zu weinen. Scott spürte die Feuchtigkeit an seinem Hals. Kleine Schluchzer schüttelten sie. »Ich spüre … was er getan hat.«
    »Es tut mir so leid«, flüsterte Scott mit zugeschnürter Kehle. Auch in seinen Augen brannten Tränen. »Es tut mir so schrecklich leid, Karen.«
    »Suchen sie … ihn? Da draußen?«
    »Nein. Ich weiß nicht, was sie tun. Er ist nicht entkommen.«
    Karen versteifte sich. »Wo ist er?«
    »Er ist tot.«
    Sie drückte sich an Scott.
    »Er hat auch Julie angegriffen.«
    »Oh nein. Oh nein.«
    »Es geht ihr gut. Sie ist ins Zelt gekrochen, als es anfing zu regnen, und hat ihn bei dir entdeckt. Sie hat geschrien. Dann bin ich angerannt gekommen, und Nick auch. Nick hat ihn mit dem Beil erwischt.«
    »Großer Gott«, ächzte sie.
    »Ja, ich fühle mich schlecht deswegen. Nick ist noch ein Kind. Ich fühle mich schlecht, weil er den Mann getötet hat. Ich hätte das tun sollen. Nick ist mir einfach zuvorgekommen, das ist alles.«
    »Wird er Schwierigkeiten kriegen?«
    »Ein paar, nehm ich an. Es wird vermutlich eine Untersuchung geben. Aber es wird niemand eingesperrt werden, nicht wegen so einer Sache.«
    »Es war doch Notwehr, oder?«
    »So was in der Art. Es macht mich nur krank, dass Nick jetzt damit leben muss, einen Mann getötet zu haben.«
    Lange lagen sie einfach nur schweigend in sanfter Umarmung da. Scott lauschte dem Prasseln des Regens auf dem Zelt und dem leisen Geräusch ihrer Atemzüge. Er spürte die Wärme ihres Atems auf seiner Haut. Manchmal, wenn sie blinzelte, kitzelten die Augenlider seinen Hals. Er wünschte, sie würde einschlafen und zumindest für eine Zeit lang vergessen, was ihr zugestoßen war. Aber ihr Herz schlug schnell. Er konnte es an seiner Brust fühlen.
    Dann flüsterte sie: »Er ist nicht in mir gekommen. Ich meine, das wäre noch schlimmer.«
    »Ja.«
    »Ich fühle mich so schmutzig. Als könnte ich immer noch spüren, wo er …« Ihre Stimme erstarb. Später sagte sie: »Willst du mich noch?«
    »Natürlich. Ich liebe dich.«
    »Aber … wird es etwas ändern?«
    »Ich glaub, es hat schon was verändert. Dadurch, dass

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