Der Wald: Roman
sagte sie mit scharfer Stimme.
Sein Herzschlag beschleunigte sich. »Ich?«
»Ja, wer denn sonst? Wo ist hier das Verwaltungsgebäude?«
»Puh, ich weiß nicht.«
»Du weißt es nicht«, sagte sie verärgert. »Das Verwaltungs gebäude«, wiederholte sie lauter, als müsste sie seine Taub- oder Dummheit durchdringen. »Weller Hall.«
»Den kenn ich auch nicht«, sagte Benny. Er schämte sich für den weinerlichen Klang seiner Stimme.
»Das ist kein Mann. Weller Hall. So heißt das Verwaltungsgebäude.«
»Ah.«
Sie schnaubte durch die Nase, und Benny sah in der Erwartung empor, Rotz herausfliegen zu sehen.
»Ich weiß überhaupt nicht, wo irgendwas ist«, gab er zu. »Ich kenne nur den Parkplatz und die Bibliothek.«
»Wenn ich den Parkplatz oder die Bibliothek suchen würde, hätte ich danach gefragt. Ich suche die …«
»Weller Hall«, unterbrach Benny sie.
»Willst du mich auf den Arm nehmen, junger Mann?«
»Nein, Ma’am.«
»Das will ich dir auch geraten haben«, fuhr sie ihn an und eilte davon.
Aufgewühlt von der Begegnung beschleunigte Benny seine Schritte. Was war das denn für eine? Eine Irre? Konnte man nicht auf einen Blick sehen, dass er nicht hierhergehörte? Verrückte alte Schachtel.
Verrückte alte Schachtel. Jemand – Julie? – hatte die Frau in den Bergen so bezeichnet. Die Hexe.
Benny sah sich um.
Weg! Sie war nirgendwo zu sehen. Ein unheimliches Gefühl kroch seinen Rücken empor.
Wahrscheinlich ist sie nur in das Gebäude hinter mir gegangen, dachte er.
Aber was, wenn sie die Hexe ist? Was, wenn sie uns aus den Bergen bis nach Hause gefolgt ist?
Während er die Stufen zur Bibliothek hinaufstieg, rief er sich die Hexe vor Augen, wie sie im Dunkel die Arme gehoben und ihren Fluch durch den Lärm des Windes und des Regens gebrüllt hatte. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie in einem grauen Hosenanzug, mit modischer Brille und hochgestecktem Haar aussehen würde. Mit Beklemmung wurde ihm klar, dass sie der Frau von eben sehr ähneln würde. Wenn er nur das Gesicht der Hexe besser gesehen hätte.
»Sei nicht albern«, sagte er laut zu sich selbst.
Dann nahm er die Sonnengläser von der Brille und öffnete die Tür zur Bibliothek. Auf dem Weg zum Ausleihschalter, hinter dem eine junge Frau saß und las, dämpfte ein Teppich seine Schritte. Die Frau hielt einen Filzstift in der Hand. Sie trug eine weiße Bluse mit Rüschenkragen und hatte blondes Haar wie Karen. Benny entdeckte nichts Bedrohliches an ihr. Sie sah auf, als er näher kam, und lächelte. »Hallo«, sagte sie.
»Hi«, flüsterte Benny. »Kann ich mich ein bisschen hier umsehen? Ich warte auf meine Cousine. Sie hat gerade ein Seminar.«
»Aber sicher. Kein Problem. Wenn du ein paar Zeitschriften lesen willst, die sind in dem Raum hinter diesen Regalen.« Sie zeigte nach rechts.
»Danke.«
»Sieh dich nur um. Wenn du Fragen hast, ich bin hier.«
Benny dankte ihr noch einmal und ging hinüber zu dem Zettelkatalog. Niemand benutzte ihn. Abgesehen von ein paar Studenten, die an den langen Tischen in der Nähe saßen und lasen oder sich Notizen machten, war der große Raum verlassen.
Er schritt an den Schubladen entlang und öffnete eine mit der Aufschrift: hek-hez. Dann blätterte er die Karteikarten bis fast nach hinten durch. Bald entdeckte er eine, auf der stand: Hexen im Laufe der Zeiten. Dahinter: Hexenjagd , ein Roman. Nicht das, was er suchte. Hexenprozesse von Salem. Er blätterte weiter. Hexen und Zauberer. Das klang nützlich. Aber bei der nächsten Karte schlug sein Herz schneller: Hexensprüche und Zaubertränke.
Er sah auf die Signatur und runzelte die Stirn. Anstatt der Dezimalklassifikation, die er kannte, stand dort eine Reihe Buchstaben.
Tja, die Bibliothekarin hatte ihre Hilfe angeboten.
Er zog den Kugelschreiber aus der Hemdtasche und begann, die Buchstaben auf der Handkante zu notieren. Der Stift funktionierte dort schlecht. Er entdeckte auf dem Katalogkasten eine kleine Ablage mit Schmierpapier, nahm einen Zettel und schrieb die Signatur, den Autor und den Titel auf.
Dann kehrte er zur Ausleihe zurück. Die Frau unterstrich einen Absatz mit ihrem gelben Filzstift und lächelte zu ihm auf.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Benny, »aber können Sie mir sagen, wo ich dieses Buch finde?«
Sie warf einen Blick auf den Zettel. »Ah, das steht unten. Kennst du dich aus mit der Library-of-Congress-Klassifikation?«
»Nein, ich …«
»Also, du gehst einfach dem Alphabet nach an
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