Der Wald: Roman
Buch auf, als Julie die Tür aufschob und ins Wohnzimmer trat. Er rümpfte die Nase, damit seine Brille nicht rutschte. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Klar. Hat Dad es dir erzählt?«
»Ja. Ich war auf dem Klo, als es passiert ist. Ich wünschte, ich hätte es gesehen.«
»Wirklich schade. Es war ein echtes Spektakel – wie deine Schwester beinahe ertrunken ist. Du musst gut aufpassen, damit du es nicht verpasst, wenn es mal wieder was zu lachen gibt.«
»Ich meinte nur, dass ich dir vielleicht hätte helfen können.«
»Klar.« Sie fror in der kühlen Luft der Klimaanlage und wickelte sich in ihr Handtuch. »Wo ist Tanya?«
»Ich glaub, sie ist in ihrem Zimmer und lernt.«
Julie ging zu Tanyas Zimmer. Sie fand sie am Schreibtisch über den dicken Shakespeare-Band gebeugt. »Wie geht’s dir?«
»Nicht schlecht.«
Tanya schüttelte den Kopf. »Ich kann es kaum glauben. Krämpfe in beiden Beinen?«
»Dad meint, ich hätte mich überanstrengt.«
»Benny glaubt, es liegt an dem Fluch.«
»Gibt’s sonst noch was Neues?«
»Er wälzt das Buch und sucht nach einem Gegenmittel.«
»Nach einem Fluch-Entferner?«
»So was in der Art.«
»Das ist doch alles Schwachsinn.«
»Glaubst du das immer noch?«
»Verdammt, das waren nicht meine ersten Krämpfe. Aber weil es eine Art Seuche zu sein scheint, dass jetzt alle anfällig für Unfälle sind …« Sie seufzte und wusste nicht recht, wie sie fortfahren sollte. Tanya wartete mit hochgezogenen Brauen. »Nick kommt gleich vorbei, und ich muss mich frischmachen. Ich will kurz duschen. Hast du gehört, dass Karen letzte Nacht in der Badewanne gestürzt ist?«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Doch, sie ist beinahe ertrunken, aber ihre Mitbewohnerin kam gerade noch rechtzeitig.«
»Das ist wirklich eine Seuche.«
»Stimmt. Jedenfalls hab ich mich gefragt, ob es dir was ausmachen würde, eine kleine Pause von deinem Shakespeare einzulegen und beim Duschen ein bisschen auf mich aufzupassen.«
Tanya sah sie stirnrunzelnd an. »Du machst dir wohl wirklich Sorgen.«
»Tja, ich bin noch ein bisschen wackelig auf den Beinen. Irgendwie ist es lächerlich. Ich meine, ich hab keine Angst oder so. Ich dachte nur, um auf Nummer sicher …« Sie hörte auf herumzustottern, als Tanya den Stift in das aufgeschlagene Buch legte und mit ihrem Stuhl zurückrutschte. »Ich beeile mich auch, versprochen.«
»Nein, schon okay. Lass dir ruhig Zeit. Ich hab eh genug von Shakespeare.«
»Das rechne ich dir hoch an.« Grinsend fügte Julie hinzu: »Irgendwann tue ich dasselbe für dich.«
»Vergiss es. Ich bin schließlich nicht verflucht.« Tanya sah Julie mit gespielter Besorgnis an. »Oder meinst du, es ist ansteckend?«
»Das musst du Benny fragen.«
In ihrem Zimmer warf Julie das feuchte Handtuch aufs Bett. Sie nahm den Bademantel und lief über den Flur ins Bad. Tanya saß auf dem Toilettensitz und wartete schon auf sie. »Vielleicht ist deine Pechsträhne ja für heute vorbei.«
»Das will ich doch hoffen«, sagte Julie. Sie drehte das Wasser auf. Als es warm wurde, schaltete sie die Dusche ein und schob die Glastür zu. Sie bemerkte, dass Tanya zusah, wie sie den Bikini auszog, und errötete.
»Hast du heute genug Sonne abbekommen?«
»Zu viel, glaub ich. Hoffentlich pelle ich mich nicht.«
»Creme dich nach dem Duschen ein.«
Sie nickte, öffnete die Tür ein Stück, hielt prüfend die Hand unter den Strahl und stieg dann vorsichtig in die Wanne. Ein Fuß rutschte weg. Sie hielt sich an der Tür fest.
»Gott, pass auf!«
»Alles in Ordnung.« Sie schloss die Tür und trat unter den Wasserstrahl. Durch das Milchglas konnte sie Tanya nur als undeutlichen, verschwommenen Umriss erkennen. »Hoffentlich kennst du dich mit Wiederbelebungsmaßnahmen aus«, rief Julie. Tanyas Antwort ging im Plätschern der Dusche unter.
»Vielleicht sollte ich lieber hinfallen, nur damit es besser aussieht. Ich komm mir so blöd vor, wenn nichts passiert.«
Sie drehte sich langsam um und genoss das Gefühl des herabströmenden Wassers. Der Strahl bereitete ihr keine Schmerzen, also konnte sie keinen richtigen Sonnenbrand haben. Ihre Haut schimmerte leicht rötlich. Auch die Brüste hatten einen rosigen Farbton, doch das kam von der Dusche, nicht von der Sonne. Wenn sie mehr Gelegenheit hätte, nackt in der Sonne zu liegen … Aber auf eine Art gefiel ihr der Kontrast, die hellen Stellen, umrahmt von bronzefarbener Haut.
Sie erinnerte sich, dass sie versprochen hatte, sich zu
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