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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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schon in Gjelleråsen waren, fiel Elise plötzlich ein, dass sie etwas vergessen hatten. «Das Schmusekaninchen», sagte sie. «Ohne das kann er doch nicht schlafen.» – «Petter Kaninchen», brüllte der Junge. Wilhelm schlug mit der Hand aufs Lenkrad. «Verdammt und zugenäht!» Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als umzukehren. Der Junge
musste
sein Schmusetier haben. Etwas anderes kam überhaupt nicht in Frage.
    Auf dem Rückweg machte sie eine zweideutige Bemerkung. «Bist du dir auch wirklich ganz sicher? Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.» – «Was zum Teufel meinst du?», hatte er gefragt. Sie hatte gemurmelt: «Da oben im Wald zu wohnen.» – «Menschenskind, darüber waren wir uns doch einig! Sollen wir jetzt etwa alles rückgängig machen, oder was?!» – «Nein, nein.» Sie hatte den Kopf abgewandt und aus dem Fenster gestarrt. Aber er merkte, dass sie mit den Tränen kämpfte. «Fängst du jetzt auch noch an zu heulen?», rief er. «Nein, nein. Reg dich ab.»
    Das war leichter gesagt als getan. Er war bereits auf hundertachtzig. Und es sollte noch schlimmer kommen. Als sie Kløfta erreichten, machte das Auto Schwierigkeiten. Wie sich herausstellte, brauchte es frisches Öl. Zum Glück fand er eine offene Tankstelle, und das Problem war relativ schnell gelöst. Aber es dauerte natürlich trotzdem seine Zeit. Und als sie die Karre endlich wieder in Gang gebracht hatten, fing der Junge erneut an zu bocken, und Elise schaffte es wie üblich nicht, konsequent zu sein. Also mussten sie wieder anhalten, auf einem Rastplatz. Sie ging mit ihm hinaus, ließ ihn spielen, ein bisschen herumlaufen. Während er im Auto saß, mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte und zusah, wie die Sonne hinter den dunkelblauen Bergkämmen unterging.
    Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Der Junge war schließlich auf der Rückbank eingeschlafen. Er selbst war immer noch ziemlich angespannt. Aber es tat gut, endlich anzukommen. Die Autotür zu öffnen, die Beine auszustrecken, die Waldluft tief in die Lungen zu saugen. Sie hob den Jungen vorsichtig aus dem Wagen und trug ihn auf dem Arm, während er sich mit dem Gepäck abmühte. Das war der Moment, als er ihren blonden Hinterkopf betrachtete. Und ihm klar wurde, dass die Frau, die vor ihm den Pfad entlangging, weiter denn je von ihm entfernt war. Dass er eigentlich nichts von ihr wusste, sie vielleicht nie richtig gekannt hatte. Außerdem strahlte sie eine Zärtlichkeit aus, während sie den Jungen trug, die sie ihm gegenüber nie gezeigt hatte. Er konnte es sogar von hinten sehen, wie sie sich liebevoll über das Kind beugte und ihm etwas in die kleinen Ohren flüsterte.
    Sie drehte sich kein einziges Mal zu ihm um. Wartete nicht, fragte nicht, ob es der richtige Weg sei, obwohl es schon so dunkel war. Als würdest du ihn besser kennen als ich, dachte er. Als wärst du schon öfter hier gewesen. Einfach hergefahren, ohne mir etwas zu sagen. Mit einem anderen Mann, einem dieser arroganten Künstlertypen. Hast ihm die Hütte gezeigt, unser Geheimnis, das nur uns gehört – bevor du seinen Schwanz gelutscht und auf dem Bettsofa die Beine für ihn breitgemacht hast. Vielleicht bist du in Wirklichkeit hierhergefahren, als du angeblich auf Studienreise warst.
    Er war auf dem Pfad stehengeblieben, hatte sich an einen Baum gelehnt und gemerkt, dass sein Mund ganz trocken war. Bist du wirklich mit einem anderen hier gewesen? Aber dann fielen ihm die Geschenke ein, die sie gekauft hatte, die authentischen Moskau-Souvenirs. Die Matrjoschka für den Jungen, das Bolschoi-Plakat für sich und eine Flasche echten russischen Wodka für ihn. Die, die er jetzt in seinem Rucksack trug. Und dann erinnerte er sich, wie begeistert sie vom Lenin-Mausoleum erzählt hatte. Dass sie stundenlang auf dem Roten Platz in der Schlange stehen musste, bis sie endlich eingelassen wurde und ihn dort liegen sah, so, wie er schon in den letzten fünfzig, sechzig Jahren dort gelegen hatte, und dass er so lebendig ausgesehen hatte. Als wäre er überhaupt nicht tot.
    Aber vielleicht hatte sie sich das alles nur ausgedacht, vielleicht hatte sie das über Lenin nur gelesen und sich Fotos angesehen, um ihm eine glaubwürdige Geschichte auftischen zu können. Vielleicht hatte sie einen der anderen Studenten gebeten, ihr die Flasche mitzubringen, damit es so aussah, als wäre sie dort gewesen. Für ihn. Jetzt hör aber auf, du Idiot, hatte er gemurmelt. Wirst du jetzt langsam paranoid, oder was zum

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