Der Wald wirft schwarze Schatten
sprechen?»
«Moment.»
«Weißt du nicht, wo er ist?»
«Doch, doch.»
Er geht die Treppe hinunter und wirft einen Blick in die Küche. Alles sauber und ordentlich. Das Wohnzimmer: verlassen und still. Der Fernsehapparat und die Spielkonsole sind ausgeschaltet. Robert öffnet die Terrassentür und späht hinaus in den Garten. Hält das Telefon zu und ruft.
«Lukas!»
«Kannst du ihn nicht finden?», fragt Anna am anderen Ende.
«Er ist hier, ganz in der Nähe.»
«Warst du noch gar nicht auf?»
«Doch, doch. Kann ich dich zurückrufen?»
Er legt auf, zieht sich Hose und T-Shirt an und geht nach draußen.
«Lukas?»
Auf der Wiese ist er nicht. Auch nicht im Gebüsch unten im Garten. Sein Spielzeug liegt fein säuberlich im Schuppen. Robert umrundet das Haus, geht entlang der Hecke an den Reihenhäusern vorbei und schaut in die Gärten der Nachbarn, dann geht er in das Wäldchen, das sich zwischen der Reihenhaussiedlung und der Schule erstreckt. Das Wäldchen, in dem im vergangenen Jahr ein paar kleine Jungen von einem unbekannten Mann angefasst worden sind. Erst war er freundlich, dann hat er die Kinder bedroht und sie gezwungen, ihre Hosen herunterzulassen. Einer der Jungen ist kurz darauf weggezogen. Die Familie hielt es nicht mehr aus, hier zu wohnen. Das Ereignis hatte den kleinen Jungen verändert. Und der Mann wurde nicht gefasst.
Robert irrt durch das Wäldchen, schaut zwischen die Büsche, und in seinem Kopf entstehen schreckliche Bilder.
«Lukas! Lukas!»
Jetzt bloß keine Panik. Klaren Kopf bewahren. Hat er an alles gedacht? Lukas’ Freunde! Natürlich. Robert läuft zurück zum Haus und durchwühlt auf der Suche nach den Telefonnummern das Chaos auf dem Schreibtisch. Er hebt den Hörer ab, wählt eine Nummer.
«Papa?»
Robert dreht sich um. Lukas schaut zwischen den Mänteln im Garderobenschrank hervor.
«Was zum Teufel machst du da?», schreit Robert.
«Sei doch nicht so böse, Papa.»
«Bist du schon lange da drin?»
«Seit sechshundert Jahren. Wir haben gespielt, dass du Darth Vader bist.»
«Wir? Ist da außer dir noch jemand drin?»
«Na, Wolf natürlich», sagt Lukas und hält ihm den braunschwarzen Kuschelhund hin. «Sonst niemand. Erst haben wir dich oben im Schlafzimmer ausspioniert. Wir haben gespielt, du wärst tot. Aber dann bist du von den Toten erwacht und warst plötzlich richtig gefährlich. Super Versteck, oder?»
«Na klar», seufzt Robert.
«Fahren wir bald?»
«Wohin?»
«Wir wollten doch auf Entdeckungsreise gehen!»
«Übermorgen. Wir fahren erst übermorgen.»
«Das hast du gestern auch schon gesagt!»
«Habe ich das?»
«Du bringst immer alles durcheinander. Kann ich einen Hund haben?»
«Was?»
«Ich will einen Hund!»
Robert wird laut. «Du bekommst keinen Hund, okay! Geh jetzt spielen!»
Er legt sich aufs Sofa und schließt die Augen. Eine Entdeckungsreise. Heilige Scheiße, wie hat er nur so etwas versprechen können? Aus der Nummer kommt er wohl nicht mehr raus. Der Junge hat ein Gedächtnis wie ein Elefant und wird ihm die Entdeckungsreise bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag vorhalten. Zum Glück hat er ihm keinen Hund versprochen.
Wenn Anna bloß hier wäre. Mist, dass sie es nicht geschafft haben zu reden. Mist, dass er es nicht geschafft hat, den Mund aufzumachen, dass er sich so danebenbenommen hat, dass sie auch noch diesen verdammten Streit hatten, bevor sie fuhr. Mist, dass sie fahren musste. Natürlich musste sie fahren. Dieser tolle Designerjob ist schließlich ihr Traumjob. Jahrelang hat sie sich genau so eine Stelle gewünscht und hart dafür gearbeitet. Es wäre dumm gewesen, sie abzulehnen, wo sie doch ohnehin bald zurück nach Stockholm ziehen. Zum Glück. Bald sind sie wieder jeden Tag zusammen. Aber erst muss er noch dieses verdammte Engagement überstehen. Wenn ihm das bloß nicht das Genick bricht.
Wäre sie während der Proben hier gewesen, hätte er ihr davon erzählen, es ihr demonstrieren können. Er hätte die unorthodoxen Regiemethoden dieses angeblich so genialen Regisseurs karikieren können. Psychodrama und Tiefenmeditation, Psychoterror und Method-Acting, in einer völlig kranken Mischung. Er hätte den Ablauf von Anfang an bis ins kleinste Detail beschreiben können und vielleicht sogar darüber gelacht. Sie hätten gemeinsam lachen können. Aber unter den gegebenen Umständen war das nicht möglich. Sie haben nur oberflächliche Gespräche geführt. Er will sie ja auch nicht beunruhigen. Ja, klar, uns geht es gut.
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