Der Wald wirft schwarze Schatten
Etikett nach dem anderen angesehen und war immer ratloser geworden. Bis ihr schließlich ein junger Mann zu Hilfe kam, ein Milchgesicht von einem Verkäufer, und sie fragte, ob er sie beraten dürfe. «Beraten?», hatte sie erwidert und ihn angestarrt. Denn mittlerweile war sie so durcheinander, dass sie kaum mehr wusste, weshalb sie hier war. Schließlich hatte sie ihren Wunsch stotternd hervorgebracht. Und man stelle sich vor, sie führten ihn nicht mehr.
Der Verkäufer hatte sie zu einem Regal mit australischen Weinen gezogen und gesagt, das sei dieselbe Rebsorte, nur noch besser, fruchtiger und mit mehr Süße. Verschonen Sie mich bloß damit, hätte sie am liebsten gesagt, ich will doch keinen Känguruwein. Aber sie konnte ja nicht mit leeren Händen wieder gehen, also hatte sie schließlich eingewilligt, dass er ihr zwei Flaschen in den Korb legte. Sie seufzt und blickt resigniert auf den Einkaufstrolley. Hoffentlich mögen sie den. Hoffentlich ist das ein ordentlicher Wein und nicht irgend so eine schreckliche Kängurupisse.
Zum Glück hat sie auch noch eine Flasche Kognak gleich neben der Kasse gefunden, und mit Kognak kann man ja nichts falsch machen. Die Flasche war allerdings unverschämt teuer, es hat ihr fast den Atem verschlagen, als sie bezahlen sollte, aber sie hat sie trotzdem genommen. Denn für ihren Sohn und ihren Enkel ist das Beste gerade gut genug. Versteht sich doch von selbst, dass sie einen Kaffee mit Schuss bekommen.
Jetzt muss sie nur noch in den Blumenladen und zum Supermarkt. Na ja, was heißt
nur
. Sie hebt den Einkaufstrolley ein wenig an. Er ist schon schwer genug. Aber wenn sie jetzt nach Hause geht, weiß sie nicht, ob sie es schafft, noch einmal aus dem Haus zu gehen. Nein, sie will alle Einkäufe auf einmal erledigen. Zum Glück steht eine Bank gegenüber von Bunnpris. Da wird sie sich ein bisschen ausruhen, bevor sie in den Laden geht. Sie zockelt langsam die Straße hinauf, den Blick auf den Boden gerichtet.
Ihr ist gar nicht bewusst gewesen, wie gern sie sich früher die Umgebung angesehen hat. Die Häuser, die Gardinen vor den Fenstern, die Blumenkästen, die Kätzchen und Hunde. Die Gärten mit den Obstbäumen. Die knallroten Äpfel bei Pedersen. Ob die Bäume am Hang schon gelb und orange leuchteten oder ob nur die Baumspitzen ein bisschen gelblich waren. Jetzt muss sie stehenbleiben, wenn sie etwas betrachten will. Denn solange sie in Bewegung ist, muss sie wegen der Unebenheiten ständig auf den Bürgersteig schauen. Das kleinste Hindernis vor den schlurfenden Füßen könnte sie zu Fall bringen. Und wenn sie fällt, kommt sie aus eigener Kraft nicht mehr hoch. Dann liegt sie da und strampelt mit Armen und Beinen wie ein Käfer. Zum Glück ist bisher immer jemand gekommen und hat sie gefunden. Aber eines Tages kommt vielleicht niemand. Dann bleibt sie liegen, und was, wenn dann Frost herrscht? Oder wenn sie sich etwas bricht?
Wie schön wäre es, wenn Wilhelm mit ihr einen Spaziergang machen würde. Wenn er sie sicher untergehakt hätte, sodass sie beim Gehen den Blick schweifen lassen könnte, so wie früher. Vielleicht könnten sie sogar einen Ausflug in den Park machen oder nach Bygdøy, so wie damals, als er noch klein war. Und sie könnte den Vorübergehenden zunicken, lächeln. Seht her, das ist mein Sohn. Er ist endlich wieder nach Hause gekommen. Zurückgekommen aus Amerika! Ist er nicht toll?
Schnaufend sinkt sie auf die Bank gegenüber von Bunnpris, hört, wie es in ihrem Brustkorb pfeift. Aber sie sitzt kaum eine Minute, als sie zu ihrem großen Schreck das Schild entdeckt:
Das Seniorenzentrum hat geöffnet
. Du liebe Güte, sie muss hier weg, bevor jemand sie sieht und versucht, sie da hinzuschleppen. Jemand, das heißt natürlich Aslaug. Und wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit. Denn gerade als sie hinüber zum Supermarkt gehen will, sieht sie Aslaug die Straße heraufkommen, wackelnd wie eine Gans hinter ihrem Rollator. Evelyn steuert hastig auf Bunnpris zu. Aber Aslaug hat sie schon entdeckt.
«Evelyn!», ruft sie. «Evelyyyn!»
Evelyn tut so, als hätte sie nichts gehört, und schlurft, so schnell sie kann, durch die Tür, greift sich einen Einkaufswagen, zieht daran und entdeckt, was eigentlich keine Überraschung mehr ist: dass er an den nächsten Wagen gekettet ist und der wiederum an den nächsten. Sie steht da und zerrt trotzdem daran, aber es ist zwecklos. Und schon steht Aslaug neben ihr.
«Aber meine Liebe», sagt sie auf diese
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