Der Wald wirft schwarze Schatten
Waffenhändler in der 14 th Street ging und eine Beretta kaufte. Nicht zu leicht, nicht zu schwer. Aber sie lag gut in der Hand.
An einem heißen Sommertag war er an der Grand Central Station in den Zug gestiegen und Richtung Norden gefahren, am Hudson River entlang, vorbei an Peekskill, Cold Spring und Poughkeepsie, bis zur Endstation in den Catskill Mountains. Er hatte das Städtchen durchquert und war in den Wald gegangen. Den Wanderweg hatte er verlassen. Es war niemand zu sehen gewesen.
Der Wald hatte keine Ähnlichkeit mit den norwegischen Nadelwäldern. Er war merkwürdig und fremdartig, mit unbekannten Baumarten, Büschen und Blumen. Es roch hier auch ganz anders. Das war nicht der frische, leicht herbe Waldduft, den er von Norwegen gewohnt war, sondern ein süßlicher und in der Hitze fast Übelkeit erregender Geruch.
Nach einer Weile erreichte er eine Lichtung. Dort hatte er die Beretta aus der Tasche gezogen, auf die Bäume um sich herum gezielt und geschossen. Damals war nichts anderes zu hören gewesen als scharfes Knallen. Erst lange danach dröhnten die Schüsse in seinem Kopf und übertönten alles andere. Vögel flogen auf, verschwanden in Scharen. Aber die Bäume standen noch genauso unerschüttert da.
Es dauerte nur ein Jahr, bis er beschloss, weiterzuziehen. New York, das war zu viel Verkehr, zu viel Unruhe, zu viele Menschen. Die Blicke, die über ihn hinwegglitten, waren glasartig. Er wurde das Gefühl von Gefahr nie los. Vielleicht wurde es dadurch verstärkt, dass er niemanden kannte, dass er keinen Namen hatte und dass es niemanden interessierte, ob er tatsächlich vom Erdboden verschwand.
Das Erschreckendste war allerdings, dass er eines Tages einem alten Schulfreund begegnete. Einem Kumpel aus der Mittelschule, der plötzlich vor ihm stand, mitten auf dem Union Square. Nein, Wilhelm, alter Gauner, hier hast du dich also versteckt? Er hatte den Kopf geschüttelt, war ohne ein Wort zurückgewichen, dann hatte er sich umgedreht und war die Straße hinuntergelaufen. War so schnell gerannt, dass die Leute zur Seite springen mussten, während er den Freund von früher immer noch hinter sich rufen hörte. Bis die Stimme schließlich vom Verkehrslärm und von der Menschenmenge verschluckt wurde. Danach hatte er schweißgebadet und atemlos in einem Hauseingang gestanden. Und ihm war bewusst geworden, dass er einen Ort gewählt hatte, an dem man ihn leicht finden konnte. Es war nicht auszuschließen, dass er in der Weltmetropole auf weitere Bekannte stieß. Wenn er das vermeiden wollte, musste er weiter ins Land hinein.
Er verlässt den Park am Columbus Circle, geht über die große Ampelkreuzung und weiter in südlicher Richtung auf das dreckige Herz der Stadt zu, den Times Square. Dieser Ort hatte ihn oft angezogen. Das Anrüchige, Dunkle und Schäbige. Die Pornoläden mit den Sexheften, Klamotten und Apparaten. Die 24 -Stunden-Kinos, in denen die Klappsessel trotz Kleenex-Schachteln in den Sitzreihen fleckig von Sperma waren. Er hatte nach Zerstreuung gesucht, nach Gesellschaft. Hatte sich eine Frau gekauft, wenn der Druck zu groß wurde. Sie standen reihenweise Schlange, er brauchte nur zu wählen. Gelbe, weiße, schwarze, goldbraune. Er hätte auch jetzt nichts dagegen gehabt.
Er biegt auf den Broadway, bleibt stehen und sieht sich um. Er erkennt ihn beinahe nicht wieder. Die Ecke, die er als heruntergekommen in Erinnerung hat, scheint eine Art Vergnügungsmeile geworden zu sein. Kein Pornokino zu sehen, keine einzige Prostituierte. Dafür enorme Anzeigetafeln mit Reklamespots, die sich gegenseitig übertrumpfen. Eine Neonhölle auf Speed, mit überteuerten Geschäften. Das Einzige, was noch entfernt an die Schäbigkeit von früher erinnert, ist eine Frau in seinem Alter, die nur mit Cowboyhut und Unterwäsche bekleidet dasteht und auf einer Wandergitarre spielt. Und obwohl es schon nach elf Uhr abends ist, wimmelt es von Leuten, es herrscht so ein Gedränge, dass sie gegen das ungeschriebene New Yorker Gesetz verstoßen und ihn anrempeln. Reflexartig steckt er die Hand unter die Jacke, versichert sich, dass alles noch an seinem Platz ist, und zieht sich eilig in die nächste Seitenstraße zurück. Erst einige Blocks weiter bleibt er vor einem Laden stehen, der Haustiere verkauft. Im Schaufenster liegen lebendige Welpen, zusammengerollt, schlafend, vier oder fünf verschiedene Rassen. Er betrachtet sie. Zwei von ihnen werden wach, drehen sich zueinander. Sie kämpfen
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