Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
Vom Netzwerk:
Schule. Papas Hand ist warm und sicher.
    «Aber wir fahren doch morgen, oder?», sagt Lukas.
    «Ja.»
    «Auf Entdeckungsreise? Mit der alten Karte?»
    «Na klar.»
    «Und mit dem Zelt?»
    «Ja.»
    «Fahren wir ganz früh?»
    «Wir fahren, wenn wir so weit sind.»

[zur Inhaltsübersicht]
    8
    Ein Raum im Dunkel. Ein Aufblitzen, ein grelles Licht, Sturzbäche von Blut. Er schreit. Schreit, bis sein Hals trocken ist, und dann hört das Geräusch auf. Er hat etwas im Mund, in der Nase, er bekommt keine Luft, als ob er erstickt.
    Mit einem Ruck setzt sich Robert im Bett auf. Starr vor Angst, atemlos. Im Zimmer ist es finster. Er tastet nach der Nachttischlampe, schaltet sie ein.
    «Alles ist gut», sagt er zu sich selbst. «Alles ist gut.»
    Aber die Angst sitzt ihm in den Gliedern. Er friert und ist nassgeschwitzt, und sein Mund ist so trocken, als hätte er wirklich geschrien. Außerhalb des Lichtkegels der Nachttischlampe ist es dunkel. Still. Als wäre jemand hier, als wäre jemand hinter ihm her, der mit angehaltenem Atem hinter der Tür steht. Irgendjemand ist durchs Fenster eingestiegen, hat sich zu Lukas hineingeschlichen, hat ihn geschlagen und seinen kleinen Schädel zertrümmert.
    «Lukas? Lukas!»
    Er läuft hinaus auf den Flur, öffnet die Tür zum Kinderzimmer und stürzt an Lukas’ Bett. Er ist da. Er schläft. Sein Kopf ist heil. Auf seiner Stirn steht leichter Schweiß, und das dunkle Haar lockt sich an den Schläfen, aber er atmet friedlich, mit seinem geliebten Stoffhund im Arm. Robert streicht ihm über den Kopf und breitet die Decke über ihn.
    «Mein Kleiner», sagt er.
    Lukas gibt einen zufriedenen Laut von sich und dreht sich zur Wand. Er schläft so tief. Robert streicht ihm noch einmal über das Haar, dann steht er auf und kontrolliert, ob das Fenster richtig verschlossen ist. Er geht aus dem Zimmer, hinunter ins Erdgeschoss, durchs Wohnzimmer in den Flur und überprüft die Alarmanlage. Doch, sie ist eingeschaltet. Niemand kann ein Fenster einschlagen oder die Haustür öffnen, ohne dass der Alarm losheult.
    Er geht in die Küche, schenkt sich ein Glas Milch ein und trinkt. Dann greift er zum Telefon, um Anna anzurufen. Er hält es eine Weile in der Hand und überlegt, was er sagen könnte: Hier ist alles in Ordnung. Uns geht es gut. Ist bei dir auch alles okay? Kannst du nicht eine Runde durch die Wohnung gehen und nachschauen, ob wirklich alle Türen zu und abgeschlossen sind? Aber er kann sie unmöglich jetzt anrufen, es ist viel zu spät.
    Ihm fällt ein, dass er ihr nichts von dem Ausflug erzählt hat. Sie hat ein Recht darauf zu wissen, wo sie sind, damit sie ihn erreichen kann. Damit er sie erreichen kann, wenn etwas passiert. Es kann nichts passieren. Sie machen ja nur einen kleinen Ausflug in den Wald.
    Robert geht zurück ins Schlafzimmer. Löscht das Licht, legt sich ins Bett und schließt die Augen. Eine Weile liegt er so da, aber er spürt, dass sein Körper steif ist und sich weigert zu gehorchen, auch wenn er ihm befiehlt, sich zu entspannen und eins zu werden mit der Matratze. Er weigert sich, zu versinken und das wache Bewusstsein aufzugeben. Er rollt sich auf Annas Bettseite, drückt ihre Decke an sich und versucht, ihren Duft im Bettzeug zu riechen. Er versucht, sich vorzustellen, dass die Decke ihr Körper ist und dass er sie im Arm hält.
    Aber er verschwindet nicht, er ist immer noch da. Und selbst wenn es ihm gelingen sollte, einzuschlafen, würde er – wie so häufig in letzter Zeit – wiederkommen. Dieser abstrakte Albtraum, die Furcht in konzentrierter Form, wird lebendig, sobald er einschläft. Wo kommt das her? Er hat so etwas noch nie erlebt. Zweifellos hat es mit der Theaterinszenierung begonnen. Der verdammte Regisseur hat Schuld.
    Er steht wieder auf, geht ins Bad, dreht den Wasserhahn an der Badewanne auf und lässt Wasser ein. Dann geht er runter in die Küche, nimmt sich eine Flasche Rotwein und öffnet sie. Er schenkt sich ein Glas ein und trinkt es in einem Zug aus. Schenkt noch einmal nach, geht zurück ins Bad und legt sich in das warme Wasser. Jetzt wird er sich beruhigen. Schläfrig werden. Wird an etwas Schönes denken. An den Sommer, als sie in Italien waren. An den Strand mit den orangefarbenen Sonnenschirmen und den weißen Liegestühlen. An das unendliche Meer und den weißen Sandstrand, der länger war, als das Auge reichte. Von einem Badeort zum nächsten waren sie in der Brandung entlangspaziert, während die sanften Wellen ihre Füße

Weitere Kostenlose Bücher