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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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Menschen. Niemand ist leerer als ihr, die ihr einen Text braucht, um erfüllt zu sein. Niemand ist leerer als ihr, die ihr nicht existiert ohne einen Dramatiker oder einen Regisseur, der euch in Bewegung bringt.»
    Niemand protestierte oder hinterfragte diese salbadernden Floskeln. Niemand lachte. Niemand hob auch nur eine Augenbraue. Es gab nicht den kleinsten Seitenblick. Die Kollegen starrten den Regisseur respektvoll an. Zu viel Scheißrespekt. Noch dazu vor einem Hotshot wie ihm. Einem zum Genie erklärten Dänen, der grenzensprengende Inszenierungen auf den wichtigsten Bühnen Europas verbrochen hatte.
    Bereits am Ende des ersten Probentages und nach überstandener Leseprobe verlangte er, dass sie bis zum nächsten Tag ihren Text können sollten. Vierundzwanzig Stunden für diese enorme Textmenge. Alle nickten gehorsam. Halleluja. Amen. Robert bildete keine Ausnahme. Anarchie fürchtet das Theater am meisten, dass die Schauspieler gegen ihren Käpt’n meutern, dass sie ihrem eigenen Willen folgen. Er blieb die ganze Nacht auf und lernte seine Rolle. Am nächsten Tag bei der Probe war er völlig fertig und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ihnen den Nachtschlaf zu rauben war ein glänzender Auftakt für weiteren Psychoterror.
    Der Regisseur nahm wieder den Raum als Ausgangspunkt. Offensichtlich hatte er an diesem Thema einen Narren gefressen, er kam immer wieder darauf zurück. Das wirkte vertrauenswürdig, war es aber nicht.
    Räume waren Tatorte, an denen sich Dinge ereignet hatten. Wo Dinge geschehen würden. Es ging um den konkreten Raum, in dem sie sich befanden, aber auch um die Räume ihrer Erinnerungen. Die Räume, die man vergessen und im Unterbewusstsein begraben hatte, um den Ort der bedeutsamen Erinnerungen. Der Raum bildete den Rahmen, Räume entstanden in anderen Räumen, in den Verstecken des Gehirns. Aber die imaginären Räume – die Räume, die man sich vorstellen musste, um eine Nähe und Aktualität im Verhältnis zum Text zu schaffen – waren ebenfalls ein Teil dessen. Der Regisseur setzte die stärksten Mittel ein, um sie hervorzulocken.
    «Dieser Raum», sagte er, die Augen auf Robert geheftet, «ist Guantánamo. Du bist gefangen. Und du kommst nie wieder frei. Du wirst für alle Ewigkeit gefesselt sein, in einem orangefarbenen Overall. Mit verbundenen Augen, kniend. Deine Hände und Füße sind gefesselt, du wirst nur Dreck zu fressen kriegen, du wirst dich nicht waschen, nicht auf eine richtige Toilette gehen dürfen. Du darfst nicht deinen eigenen Gott anbeten. Dein Gott ist ein Gott, den wir verachten. Auf den wir pissen, von dem wir Karikaturen zeichnen! Seht Robert an, alle!»
    Alle drehten sich um und sahen ihn an. Er fühlte sich unwohl, versuchte aber, wieder er selbst zu sein, indem er sein charmantestes Zeitschriften-Lächeln aufsetzte. Das Liebhaberlächeln.
    «Gut, Robert. Du wirst alle Herzen für dich gewinnen. Du hast die volle Kontrolle. Seht ihn euch an. Seht hin. Er denkt, er hat die volle Kontrolle. Mit seinem Lächeln glaubt er alles wieder ausbügeln zu können. Wer kann so einem denn glauben? Hm? Erscheinen seine Rachephantasien nicht lächerlich? Wird er selbst daran glauben? Wird er, dieser durch und durch oberflächliche Mann, das schaffen? Wirst du dein inneres Guantánamo verlassen können?»
    Robert spürte, wie sein Blick zu flackern begann.
    «Entschuldigung», sagte der Regisseur mit einem Lächeln. «Da muss ich wohl einen wunden Punkt getroffen haben.»
    Er räusperte sich, dann fuhr er fort, während sein Blick vom einen zum anderen glitt und sie alle schrumpfen zu lassen schien.
    «Meine lieben Freunde. Ich werde diese Punkte finden. Jeden einzelnen. Niemand wird diesem Grab entkommen, diesem Schlachthaus, das in unserem Stück der Tatort ist. There is something rotten in the state of Denmark. Wir werden andere Wege beschreiten als die euch vertrauten. Werden uns tiefer und tiefer in die Materie hineinarbeiten, wie Würmer in eine Leiche. Werden die Wunden finden, die nie verheilt sind. Unserem eigenen Schmerz begegnen. Nur dort kann richtiges Theater entstehen. Nur dort können wir uns dem Göttlichen annähern. Denn dort wollen wir hin, wir wollen berühren, was in dem Ganzen steckt. Die Kunst. Ihr seid nur die kleinen Akteure. Aber ihr habt das Privileg, mit dem besten Bühnentext der Welt zu arbeiten. Im Laufe der kommenden Wochen werde ich euch Leben einhauchen. Ihr werdet zu Fleisch und Blut in dem Schrei, der einst unterbrochen wurde. Ihr

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