Der Wald wirft schwarze Schatten
umspülten. Milde Winde. Ein Glas Weißwein auf dem Balkon in den Abendstunden. Prosecco. Hellroter Sonnenuntergang. Orange. Er hatte Lukas das Schnorcheln beigebracht. Am Ende der Steinmole hatten sie Krebse, Tritonshörner und kleine Fische beobachtet.
Er versucht, an diese Fische zu denken, versucht, Lukas’ stolzes Gesicht vor sich zu sehen, als er einen davon in seinem Kescher gefangen hatte. Aber das Bild ist unscharf.
Denn wie so häufig in letzter Zeit ist er, sobald er die Augen schließt, wieder auf der Probebühne. Diese pechschwarze Schachtel, die Gesichter der anderen Schauspieler. Das Gesicht des Regisseurs. Tag für Tag dieselben zwölf Gesichter, acht Wochen lang.
Der Keim der Unruhe war sofort gesät worden. Es fing schon bei der ersten Probe an. Er kannte ja keinen der Kollegen. Und da sich der Regisseur entschlossen hatte, ihm, diesem Schauspieler-Leichtgewicht aus Schweden, vor den festen Ensemblemitgliedern den Vorzug und die Titelrolle zu geben, musste es zu Spannungen kommen. Hätten sie die Möglichkeit gehabt, von Anfang an eine Gemeinschaft zu werden, hätte er sich sicherer gefühlt, und alles wäre viel besser gelaufen. Aber für Smalltalk war keine Zeit. Es ging gleich in die Vollen, ohne Umwege in die Spaltung und die Unsicherheit. Vermutlich war das der eigentliche Masterplan des Regisseurs, um aus dem Stück, das auf einer tieferen psychologischen Ebene funktionieren sollte, einen authentischen Unterton hervorzukitzeln. Im Grunde war die Sache so durchsichtig, dass sich das niemand zu Herzen hätte nehmen sollen, am wenigsten er. Trotzdem traf es ihn direkt in den Magen. Vielleicht, weil man nie wirklich darauf vorbereitet ist, dass jemand tatsächlich genau dort zuschlägt, wo man am verwundbarsten ist, oder bei einem die primitivsten Knöpfe drückt. Dass jemand an die Seiten der eigenen Persönlichkeit appelliert, gegen die man kämpft und die man versucht zu verdrängen. Dass ein erwachsener Mensch es anderen Erwachsenen gegenüber fertigbringt, sie von Angesicht zu Angesicht miteinander zu vergleichen, sie in eine Konkurrenzsituation zu zwingen, und sie gleichzeitig herablassend und respektlos behandelt. Er schürt noch mehr Angst und Unruhe, indem er an Dinge rührt, die vorher nicht da waren. Versucht, Dinge aus dem Unterbewusstsein auszugraben, als ob die Gespenster der Vergangenheit dem toten König Leben spenden könnten.
«Seht euch diesen Raum an», war das Erste, was der Regisseur zu ihnen gesagt hatte.
Die Schauspieler sahen sich in dem großen schwarzen und leeren Raum um.
«Was seht ihr?»
Lange standen sie einfach nur da und schauten sich um. Es gab nichts zu sehen.
«Nichts», sagte schließlich einer von ihnen.
«Ja, da ist nichts», sagte ein anderer.
«Nichts?», spuckte er den beiden, die sich der Unwissenheit schuldig gemacht hatten, vor die Füße. «Und ihr schimpft euch Schauspieler? Kann hier denn keiner etwas sehen?»
Sie wechselten einen Blick, bevor sie sich noch einmal in dem nackten Raum umsahen.
«Da sind natürlich die Scheinwerfer», sagte Robert. «Und die Befestigungshaken an den Wänden und Unebenheiten im Boden. Und hier sind die Markierungen, wo sich die Bühne dreht.»
«Endlich!», schrie der Regisseur. «Ich dachte schon, ich wäre unter lauter Blinden!»
Die anderen warfen Robert wütende Blicke zu.
«Und was ist das Charakteristische daran?», fuhr der Regisseur fort.
«Es ist übermalt», sagte er schnell. «Alles ist schwarz.»
«Richtig! Alles ist schwarz angemalt!», predigte der Regisseur und machte eine ausschweifende Handbewegung, bevor er sehr langsam fortfuhr: «Der nackte, schwarze Raum. Woran erinnert euch das?»
Sie standen still, sahen sich um.
«Ihr armen kleinen Blinden, die ihr schon viel zu lange in dieser Dunkelheit verharrt. Seht ihr nicht, dass es ein Loch ist, das euch im Laufe der Zeit ersticken wird. Seht ihr nicht, dass es das Innere einer Zelle ist? Seht ihr nicht, dass es ein Sarg ist? Ein Grab? Ihr seid unter der Erde, lebendig begraben.
Das
ist das Theater.»
Und dann wandte er sich an Robert und gab folgendes melodramatisches Statement von sich: «Dies ist der Raum des Todes, der Leidenschaft und des Irrsinns, mein lieber Hamlet.»
Es war zum Lachen, aber er lachte nicht.
«Dies ist das Gefängnis, dein inneres Gefängnis. Das Abbild deiner inneren unendlichen Leere.»
Dann drehte sich der Regisseur wieder zu den restlichen Akteuren und betonte jedes einzelne Wort: «Ihr armen, leeren
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