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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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andere nicht aufgenommen. Ich habe nie bekommen, was ich mir wünschte, will sie sagen. Bin ich deshalb hier? Habe nicht bekommen, was hätte sein können.
     
    Sie schließt die Augen und stellt sich vor, was sie so oft in Gedanken vor sich gesehen hat. Das große Haus mit der Halle, der Treppe und den Säulen. Badezimmer mit blanken Waschbecken unter schimmerndem Chrom. Ein Dutzend Schlafzimmer, Salons wie Perlen an der Schnur, glitzernde Kronleuchter, Polstermöbel. Dienstmädchen und dicke Teppiche. Vor den Fenstern heulte der Winterwind, und es war dunkel draußen in den Wäldern. Vaters riesige Wälder, die niemals endeten. Sie durfte nicht dort hinaus in den Wald, sondern musste hier im Salon bleiben, im Ballsaal, bei den jungen Männern. Offiziere, Leutnants. Siehst du nicht – sie beten dich doch an! Du hast die freie Wahl, denn du bist die Schönste, Blondeste. Du bist das leibhaftige Ideal, und dazu im Seidenkleid. Du hast Perlen um den Hals, perlenden Wein im Glas und ein glücklich perlendes Lachen. Du trägst Diamanten an den Ohren, leuchtende Steinchen aus den schwärzesten Bergen, herausgekratzt von dunklen Fingern, schokoladenbraunen Untermenschenhänden. Dieselbe Farbe wie das verdammte Konfekt, das du herumreichst, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie es in die Schachtel gekommen ist. Du weißt nichts, noch nicht. Und du bekommst ständig etwas Neues, neue Dinge, die allerdings schon in Gebrauch waren. Aber das macht nichts. Denn sie sind schön und wertvoll, sie sind aus Gold und Edelstein, Pelz und Seide.
    Sie kommen von denen, die sie nicht mehr brauchen, sagt Vater und lächelt. In diesem Haus herrscht keine Not. Keine Knappheit, keine Rationierung. Du kannst alles haben, was du willst, und nur das Beste. Denn Vater ist auf der richtigen Seite, er tut das Richtige. Er liefert Holz und Fleisch, Milch und Kartoffeln sowie treue Mitglieder für die Partei, gute Helfer für das Dritte Reich. Im Gegenzug bekommt er so viele Arbeiter, wie er will, immer neue Kolonnen von Männern, die in den Wäldern schuften. Wenn der eine Haufen erschöpft zu Boden sinkt, kommt die nächste Ladung. König Vater wird immer reicher. Er ist der mächtigste Mann im ganzen Distrikt. Und du bist seine schöne Prinzessin.
    Vater lächelt breit und schlägt seinen Gästen jovial auf die Schulter. Er ist sehr freigiebig und großherzig, ein wirklich angenehmer Mann. Aber er ist nicht dumm, o nein. Ihm entgeht nicht die kleinste Andeutung von Widerstand, von Verrat. Er schlägt zu, wenn man am wenigsten damit rechnet, immer zum Schlag bereit. Denn Vater sieht alles und hört alles und sorgt dafür, dass bestraft wird, wer sich nicht fügt. Die Verräter, diejenigen, die auf der falschen Seite stehen oder versuchen, sich davonzumachen. Vater bestraft auch seine Prinzessin, wenn sie am Mittagstisch nicht gerade sitzt, wenn sie zu spät heimkommt, frech oder ausweichend antwortet. Vater straft mit dem Knüppel, mit dem Rohrstock, mit der flachen Hand und mit dem Gürtel. Manchmal mit der Gürtelschnalle. Vater straft Mama, wenn sie den kleinen Bruder nicht bestrafen will. Vater straft die, die Lebensmittelpakete unter dem Lagerzaun durchschieben. Er weiß immer, wer es getan hat. Vater weiß alles. Er weiß, wer den Krieg gewinnen wird. Das ergibt sich aus der Gesetzmäßigkeit der Natur, dem Recht des Stärkeren, der Überlegenheit der reinen Rasse. Vater hat große Pläne. Wenn wir gesiegt haben, wenn all die Schwachen, Unwerten und Erbärmlichen niedergekämpft sind, wird er eine Schlüsselperson sein, einer, der Mut bewiesen und Heldentaten vollbracht und kein einziges Mal gezweifelt hat, ehe er einen armseligen Feind abschlachtete. Eines Tages wird er vielleicht an der Seite des Führers sitzen. Aber vorläufig genießt er hohes Ansehen in der Partei und reist nach Oslo, sooft er kann.
    Er findet, dass du schön bist, der König Vater. Du siehst aus wie das Mädchen auf der Titelseite von
Hirdjenta
. Vater betrachtet dich, wie du dort stehst, umschwärmt und vom Licht angestrahlt. Einen von diesen jungen Männern kannst du nehmen, einen der deutschen Offiziere. Flott sehen sie aus, nicht? Oder wie wäre es mit einem meiner norwegischen Helfer? Sieh dir zum Beispiel ihn an – Kommandant des Lagers. Ein kerniger Bursche, ein Kerl durch und durch. Er könnte sich eignen, den Hof mit all seinen Wäldern, Äckern und weiten Wiesen zu führen.
    Ihr Blick gleitet über die Männer, die so schneidig aussehen in ihren

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