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Der Waldläufer

Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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anzusehen und werde keinen einzigen Augenblick lang von dieser Gewohnheit lassen.«
    »Höre ich recht! Ist es möglich, daß – – –«
    »Ihr hört ganz recht,« fiel er ihr in die Rede, »und Alles ist möglich, wenn ich es will. Ich komme zu so später Stunde und auf diesem ungewöhnlichem Wege zu Euch, um am hellen Tage als der einzige Mediana meinen Einzug auf Schloß Elanchovi halten zu können. Was mir im Wege ist, trete ich unter die Füße, und Ihr seid mir im Wege, Ihr und Euer Kind!«
    Mit von dem Entsetzen vergrößerten Augen starrte sie ihn an; sie konnte nur schwer begreifen, welche Absicht ihn, den Bruder ihres verstorbenen Mannes, zu ihr führte, dann aber zog es blitzschnell durch ihre Seele, daß sie sich und ihren kleinen Fabian zu schützen habe, und mit einigen raschen Schritten eilte sie zur Klingel. Aber ehe sie den Glockenzug in Bewegung zu setzen vermochte, stand der Fürchterliche neben ihr und streckte sie mit einem einzigen Schlage seiner Faust besinnungslos zu Boden.
    »Jose! Juan!«
    Die beiden Männer traten vom Balkon herein. Ihren Zügen war der ächte Korsarenstempel ausgedrückt, sie mußten zu jeder That fähig sein, von welcher sie Lohn erwarten konnten.
    »Das Weib hat es mir leicht gemacht. Schafft sie in das Nebenzimmer und gebt ihr den Dolch, aber gut und sicher, dafür ist Alles, was Ihr hier findet, Euer Eigenthum!«
    Die Untergebenen ergriffen die Gräfin und schleppten sie fort. Der Graf bog sich über den Knaben nieder und betrachtete die Züge des schlummernden Kindes.
    »Er hat die Züge der Mediana und ist der Sohn meines Bruders. Dieses Weib war mir fremd, ich darf ruhig an ihren Tod denken, ihn aber werde ich leben lassen. Wenn er nie erfährt, wo er geboren wurde, wird er mir vollständig unschädlich sein.«
    Juan und Jose traten wieder ein; der Erstere zeigte den vom Blute der Gräfin gerötheten Dolch vor und wischte die zweischneidige Klinge an der weißseidenen Decke der Wiege ab.
    »Dürfen wir nun zugreifen, Sennor?«
    »Nehmt, was Euch gefällt; nur macht so schnell wie möglich und sucht Euch nichts Unnützes aus. Das Boot ist klein und vermag nicht viel zu fassen!«
    »Und das Kind?«
    »Nehme ich mit. Es erhält andere Kleider und wird auf der Höhe von Bayonne in einem Kahne ausgesetzt!«
    Unterdessen lag der Miquelete bei seiner Laterne und dachte an die vielen Unzen, die er für den so leicht erworbenen Ring lösen werde. Er war ein braver, ehrlicher Charakter, aber auch ein Mensch, der Nahrung zu sich nehmen mußte, wenn er nicht verhungern wollte. Da ihn der Staat aber ruhig hungern ließ, so fühlte er sein Gewissen nicht sehr beschwert durch das Bewußtsein, daß er sich das Nöthige auf heimlichem Wege zu erwerben suchen. Je prachtvoller aber der Ring an seinem Finger funkelte, desto nachdenklicher wurde der Blick, welcher auf dem Steine ruhte. Das Durchschlüpfenlassen einiger Waarenballen dünkte ihm keine Todsünde zu sein, aber – das Boot hatte kein Schmuggelgut enthalten, und die Strickleiter deutete auf ein Unternehmen hin, welches schwerer auf die Seele fallen konnte, als eine kleine, unbedeutende Schmuggelei.
    »Santa Lauretta, wenn ich hier etwa gar die Hand zu einem todeswürdigen Verbrechen geboten hätte! Pepe, da droben im Himmel gibt es Einen, der Alles sieht, was Du thust! Was soll er von Dir denken, wenn – – hm, sie sind nach dem Schlosse gegangen; was wollen sie dort?«
    Er drehte sich hin und her, betrachtete den Ring, der ihm Brod bringen sollte, schaute dann nachdenklich in den dichten Nebel hinein und zu den Wolken empor und konnte endlich seine Unruhe nicht länger bemeistern.
    »Ich gehe! Ich muß sehen, was sie vorhaben!«
    Er erhob sich, ließ die Laterne stehen, schwang sich die Böschung hinab und schlich sich unhörbaren Schrittes der Felsenrinne zu. Da war es ihm, als vernehme er sich nahende Schritte und das unterdrückte Schluchzen einer Kinderstimme. Schnell warf er sich zur Erde.
    Drei Männer kamen. Der Vordere von ihnen trug einen kleinen Knaben auf dem Arme und suchte ihn durch leise Drohungen zum Schweigen zu bewegen; die andern Beiden trugen umfangreiche Päcke auf dem Rücken. Hier war ein Verbrechen ausgeführt worden, vielleicht gar ein Kindesraub, und schon wollte sich der Miquelete aufrichten, um den Männern Halt zu gebieten, als der Voranschreitende von ihnen stehen blieb und sich zurückwandte.
    »Legt Eure Sachen ab und schleicht Euch hinauf zu dem Lichte. Der Küstenwächter, welcher dort

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