Der Waldläufer
mir behalten – wahrhaftig! –, bis zu dem Augenblick, wo mir der Friede erlauben wird, hierher zurückzukehren und die nötigen Erkundigungen darüber einzuziehen.«
Unglücklicherweise waren die einzigen Auskünfte, die man von diesem Kind, das drei Jahre alt erschien, erhalten konnte, die, daß es Fabian heiße und daß die ermordete Frau seine Mutter wäre. –
Zwei Jahre verflossen, ohne daß das französische Schiff in Spanien landen konnte. Die zärtliche Liebe des Matrosen, der den jungen Fabian von Mediana aufgenommen hatte, verleugnete sich keinen Augenblick und wuchs immer mehr. Dieser Mann von kolossaler Gestalt und herkulischer Kraft war ein Kanadier und hieß, wie wir schon gesehen haben, Bois-Rosé. Es war ein sonderbares und rührendes Schauspiel, welche fast mütterliche Sorgfalt der Riese auf dieses kleine Kind verwendete, welche List er anwendete, um sich täglich eine Zulage zu seiner Ration für seinen angenommenen Sohn zu verschaffen. Der Matrose war so weit gekommen, daß er nach seiner Art auf dieses hinfällige Leben tausend Träume des Glücks baute, die seine Prisenanteile ihm eines Tages verwirklichen sollten.
Unglücklicherweise übersah der ehrliche Matrose bei seinen Rechnungen die gefährlichen Zufälle des Seelebens.
Eines Morgens wurde der französische Kreuzer gezwungen, vor einer englischen Brigg, die doppelt so stark war als er, das Weite zu suchen. Ein so guter Segler er nun auch war, so konnte er doch die Verfolger nicht täuschen und dem Kampf nicht ausweichen.
Die beiden Schiffe beschossen sich mit Erbitterung seit mehreren Stunden, als der Matrose, ganz schwarz von Pulver, in den untersten Schiffsraum hinabstieg, wohin er seinen Sohn in Sicherheit gebracht hatte. Nachdem er ihn zärtlich umarmt hatte, trug er ihn in seinen Armen auf das Verdeck. Hier, während des heftigsten Kampfes; inmitten des Lärms, des Blutes, das überall floß, des Geschreies der Kämpfenden; mitten unter stürzenden Masten wollte er für jeden Fall seinem Gedächtnis die Umstände einer Trennung eingraben, die er fürchtete.
In einem solchen Augenblick, der selbst einem Kind eine Erinnerung zurücklassen muß, die niemals erlischt, sagte er zu ihm, indem er ihn mit seinem gewaltigen Leib deckte: »Knie nieder, mein Sohn!«
Das Kind kniete zitternd nieder.
»Du siehst, was vorgeht?« fuhr der Kanadier mit feierlicher Stimme fort.
»Ich fürchte mich«, murmelte Fabian, »vor dem Blut, das ich sehe, vor dem Lärm, den ich höre.« Und er barg sich in den Armen des Riesen.
»Gut«, begann der Matrose abermals. »Auf! Vergiß niemals, daß dich in diesem Augenblick ein Matrose – ein Mann, der dich liebte wie sein Leben – hat niederknien lassen, um dir zu sagen: ›Knie nieder, mein Kind, und bete für deine Mutter ...‹«
Er beendete den Satz nicht; eine Kugel hatte ihn getroffen, und sein Blut spritzte über Fabian hin, der ein herzzerreißendes Geschrei ausstieß. Der Kanadier hatte nur noch Zeit, ihn mit einer verzweifelten Umarmung an sein Herz zu pressen und den Satz zu beenden, aber so leise, daß der Knabe nur mit Mühe die Worte vernahm, die er angefangen hatte: »... die ich sterbend bei dir gefunden habe.« Dann verlor er das Bewußtsein.
Als er wieder zu sich kam, war dies mitten in einem verpesteten Schiffsraum. Ein brennender Durst verzehrte ihn. Er rief den mit schwacher Stimme, der ihm jeden Morgen beim Erwachen zulächelte, aber niemand antwortete; Fabian war nicht mehr da. Der Matrose war ein Gefangener, und auf einem Ponton konnte er nun den Verlust seiner Freiheit und seines Adoptivsohnes, den ihm die Vorsehung gesandt hatte, beweinen. –
Was war aus Fabian geworden? Darüber soll uns die Geschichte des Waldläufers Aufschluß geben. Jedenfalls aber müssen wir noch, ehe wir vom Prolog zum Drama und von Europa nach Amerika übergehen, die Geschichte der Ereignisse in Elanchove vervollständigen.
Es war nur einige Tage nach dem Verschwinden der Gräfin, als Fischer am flachen Ufer ihren Körper fanden und das verlassene Boot, in dem er leblos lag.
Der alte Juan de Dios umwand die Fahnen des Schlosses mit schwarzem Flor und errichtete mit eigenen Händen ein hölzernes Kreuz an der Stelle, wo seine Gebieterin wiedergefunden worden war. Aber wie alles sich abnützt in der Welt, und zwar bald sich abnutzt, so hatte auch der Seewind den schwarzen Flor noch nicht gebleicht, die Flut hatte noch nicht das hölzerne Kreuz grün gefärbt, als man schon – trotz der durch
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