Der Waldläufer
plötzlich die erwartete Gefahr vor ihm stünde, »kommt es dir nicht vor, als ob jenes Gebüsch dort drüben« – er zeigte mit dem Finger durch das Schilf auf einen Weidenbusch – »seine Form verändert hätte und breiter geworden wäre?«
»Ja«, antwortete der Spanier, »das Gesträuch hat seine Form verändert.«
»Sieh einmal, Fabian«, fuhr der kanadische Jäger fort, »du hast das durchdringende Auge, das ich in deinem Alter besaß; meinst du nicht, daß an jenem Weidenbusch – an seiner äußersten linken Seite – die Blätter sich nicht mehr in derselben Lage befinden als die Blätter unten am Stammende, wo der Saft ihnen Nahrung zuführt?«
Der junge Mann bog leise das Schilf auseinander und betrachtete mit aufmerksamen Augen den von Bois-Rosé bezeichneten Punkt. »Ich möchte darauf schwören«, sagte er; »aber ...« Er hielt inne und blickte auf eine etwas entferntere Stelle.
»Nun?« fragte der Kanadier. »Siehst du noch etwas anderes? Ja oder nein?«
»Ich sehe dort unten«, erwiderte Fabian, »zwischen jener Weide und der Zitterpappel, zehn Schritt von dem Weidenbusch, ein Gesträuch, das vor einer Stunde gewiß noch nicht da war.«
»Ach«, sagte der Kanadier, »da sieht man, was es heißt, fern von den Städten zu leben; die geringsten Punkte in einer Landschaft prägen sich dem Gedächtnis ein und werden kostbare Kennzeichen! Du bist geschaffen, um das Leben der Jäger zu führen, Fabian.«
Pepe hob seine Büchse in der Richtung des erwähnten Gesträuchs.
»Pepe hat sogleich begriffen«, sagte Bois-Rosé; »er weiß so gut wie ich, daß die Indianer ihre Zeit benützt haben, um diese Zweige abzuschneiden und sich daraus eine tragbare Schutzwehr zu machen; aber das heißt in der Tat, die Weißen zu verächtlich behandeln, von denen doch zwei sie Kriegslisten lehren könnten, von denen sie noch gar nichts wissen. Überlaß dieses Gebüsch Fabian«, sagte der Kanadier zu Pepe. »Das wird für ihn ein leichteres Ziel sein; und du ziele auf jene Zweige, deren Blätter welk herabzuhängen beginnen. Hinter diesen steckt der Indianer. Nach der Mitte, nach der Mitte, Fabian!« schloß er lebhaft.
Zwei Schüsse fielen so von der Insel, daß sie nur einen einzigen bildeten. Das nachgemachte Gesträuch knickte zusammen, ohne daß das Auge der beiden Jäger einen roten Körper bemerkte, der hinter den Blättern gezuckt hätte; die dem Weidenbusch beigefügten Zweige bewegten sich heftig.
Pepe, Fabian und Bois-Rosé hatten sich auf den Rücken geworfen; die beiden ersten luden ihre Büchsen, der dritte machte sich bereit, von der seinigen Gebrauch zu machen.
Eine Anzahl Kugeln zerschmetterte über dem Haupt der Jäger Blätter und kleine Zweige, die verstreut auf sie herunterfielen. Zugleich zerriß das Kriegsgeschrei der überraschten Indianer ihre Ohren.
»Wenn ich mich nicht irre, so sind es nur noch fünfzehn«, sagte der Kanadier, indem er einen kleinen trockenen Zweig in fünf Stücke zerbrach und diese in die Erde steckte. »Es ist gut, ihre Toten zu zählen.«
Bois-Rosé verließ seine liegende Stellung, um sich aufs Knie zu erheben. Die Sonne färbte zum letztenmal die Gipfel der Bäume. »Achtung, Kinder!« sagte er. »Ich sehe, wie sich dort unten die Blätter einer Zitterpappel bewegen, und ganz gewiß ist es nicht der Wind, der das bewirkt. Es ist ohne Zweifel einer dieser Schelme, der den Gipfel ersteigt oder ihn schon erstiegen hat.«
Eine Kugel durchlöcherte einen zum Floß gehörigen Stamm und bewies, daß der Jäger recht hatte.
»Teufel! Man muß den Indianer durch List zwingen, sich zu zeigen.« Mit diesen Worten nahm er seine Mütze ab, zog seine Weste aus und legte sie leicht sichtbar in den Raum zwischen den Zweigen; Fabian beobachtete ihn aufmerksam. »Wenn ich einen weißen Krieger vor mir hätte«, sagte Bois-Rosé, »so würde ich meine Stellung neben meiner Weste einnehmen, denn der Soldat würde auf diese zielen; einem Indianer gegenüber aber werde ich mich dahinter stellen, denn die roten Krieger überlisten einander nicht auf diese Weise, und er wird seitwärts von meinen Kleidungsstücken zielen. Leg dich nieder, Fabian, und du auch, Pepe! Laßt mich nur allein; eine Minute später werdet ihr die Kugeln rechts und links von dem Ziel, das ich ihnen gesteckt habe, pfeifen hören.«
Der Kanadier kniete abermals hinter seiner Weste nieder und war bereit, Feuer auf die Zitterpappel zu geben. Er hatte sich in seiner Voraussetzung nicht geirrt. Noch eher, als er
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