Der Waldläufer
ich will auch nicht darum feilschen. Wenn Ihr etwa noch einen anderen kleinen Dienst von mir fordern wollt – geniert Euch nicht, es kommt auf die gleiche Rechnung.«
Das unerwartete Erscheinen Cuchillos wird durch die vorangehenden Ereignisse gerechtfertigt. Der Bandit war aus dem Wasser des benachbarten Sees, wo er sich verborgen gehalten hatte, herausgekommen, als der Prolog des Dramas stattgefunden hatte, an dem er sich eben beteiligt hatte. Durch das Zusammentreffen mit Baraja und Oroche in den Bergen war er auf seinen ersten Gedanken zurückgekommen: nämlich, sich dem Sieger anzuschließen. Alles in allem sah er, daß die Dinge einen besseren Verlauf für ihn nahmen, als er geglaubt hatte, doch verhehlte er sich die Gefahr nicht, die für ihn darin lag, daß er der Henker eines Mannes sein sollte, der alle seine Verbrechen kannte; der ihn mit einem Wort der unerbittlichen Gerechtigkeit, die in der Steppe herrscht, überliefern konnte.
Er begriff, daß er, um sich die versprochene Belohnung zu verdienen und Don Antonio für immer den Mund zu verschließen, damit beginnen müsse, diesen zu täuschen, und er fand Gelegenheit, dem Verurteilten leise ins Ohr zu flüstern: »Fürchtet nichts... Ich bin auf Eurer Seite.«
Unter den Zuschauern dieser schrecklichen Szene herrschte tiefes Schweigen, wie es der verschiedene Eindruck, dem sie preisgegeben waren, hervorgebracht hatte. Eine gänzliche Niedergeschlagenheit war in Fabians Seele der Willensenergie gefolgt, und seine Stirn war gegen die Erde gebeugt, ebenso bleich, ebenso aschfarbig wie die des Mannes, dem seine Gerechtigkeit den Urteilsspruch verkündet hatte.
Bois-Rosé, bei dem die täglichen Gefahren des Matrosen- und des Jägerlebens diesen physischen Schauder des Menschen vor der Vernichtung schon längst abgestreift hatten, schien einzig und allein in die melancholische Betrachtung dieses jungen Mannes versunken, den er wie einen Sohn liebte und dessen ganze gebrochene Haltung von seinem Schmerz zeugte. Pepe dagegen suchte mit einer undurchdringlichen Maske die stürmischen Gefühle einer befriedigten Rachsucht zu verhüllen und war still und schweigsam wie seine beiden Gefährten.
Cuchillo allein, dessen blutgierige und rachsüchtige Triebe ihn umsonst die gehässige Rolle des Henkers hätten übernehmen lassen, konnte beim Gedanken an die ungeheure Summe, die dieser Mord ihm einbringen sollte, kaum seine Freude beherrschen. Außerdem fand sich Cuchillo durch einen sonderbaren Zufall zum erstenmal im Einverständnis mit einer scheinbaren Gesetzmäßigkeit. Caramba! dachte er bei sich, als er seine Büchse aus Pepes Hand nahm und Don Antonio zugleich ein Zeichen des Einverständnisses machte. Das ist ein Fall, wo der Alkalde von Arizpe selbst mich – wenn auch wütend darüber – freisprechen müßte.
Der Spanier wußte nicht, ob er in Cuchillo seinen Retter oder seinen Henker sehen sollte; er war bleich, seine Augen funkelten, aber er rührte sich nicht. »Es ist mir prophezeit worden, daß ich in einer Wüste sterben würde. Ich habe vor einem Gericht, wie Ihr es nennt, gestanden; ich bin verurteilt – sollte Gott auch noch die äußerste Schmach über mich kommen lassen, von der Hand dieses Mannes zu sterben? Señor Fabian, ich verzeihe dir; möge dieser Bandit dir nicht ebenso verderbenbringend werden, als er es dem Bruder deines Vaters sein wird, als er es deinem ...«
Ein Schrei Cuchillos – ein Schrei des Schreckens – unterbrach den Herzog von Armada. »Zu den Waffen! Zu den Waffen! Da sind die Indianer!« rief er.
Es entstand eine augenblickliche Verwirrung; Fabian, Bois-Rosé und Pepe ergriffen ihre Büchsen; Cuchillo benützte diesen kurzen Augenblick, stürzte auf Don Antonio los, der ebenfalls mit vorgestrecktem Hals die unermeßliche Ebene überschaute, und stieß ihm seinen Dolch zweimal durch die Kehle. Der unglückliche Mediana stürzte zu Boden, und Wogen von Blut entquollen seinem Mund.
Ein Lächeln flog über Cuchillos Lippen – Don Antonio nahm das Geheimnis des Banditen mit in den Tod.
46 Das Gottesurteil
Ein Augenblick der Bestürzung folgte diesem so rasch vollbrachten Mord. Don Antonio rührte sich nicht mehr.
Fabian schien zu vergessen, daß der Bandit nur die Vollziehung des von ihm selbst verkündeten Urteilsspruchs beschleunigt hatte. »Unglücklicher!« rief er aus und stürzte auf Cuchillo los, den Lauf seiner Büchse in der Hand, als ob er nur die Absicht hätte, sich ihres Kolbens gegen den Henker zu
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