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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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gewordenen Baum, den einst murmelnden Bach in dem tosenden, vom Regen angeschwollenen Strom wiedererkennen würdet; ich habe den Knaben an einem Losungswort wiedererkannt, das er in zwanzig Jahren nur halb vergessen hatte.«
    »Ist dieses Zusammentreffen nicht zum verwundern sonderbar?« fügte Diaz, fest überzeugt von der Wahrhaftigkeit des Kanadiers, hinzu.
    »Gott«, sagte Bois-Rosé feierlich, »Gott, der dem Windhauch befiehlt, den befruchtenden Blütenstaub des männlichen Palmbaums weit durch den Raum hindurch nach der weiblichen Dattelpalme zu tragen; Gott, der dem verheerenden Sturm, dem verwüstenden Sturzbach, dem Zugvogel auf der Wanderung den Samen der Bäume und Pflanzen anvertraut, die zum Unterhalt der Menschen notwendig sind, um sie hundert Meilen von der Pflanze oder dem Baum, der ihnen das Dasein gegeben hat, wieder entstehen zu lassen – sollte der nicht ebenso leicht zwei nach seinem Bild geschaffene Wesen einander begegnen lassen können?«
    Diaz schwieg einen Augenblick, da er doch nichts weiter gegen die warme Rede des Kanadiers einzuwenden wußte, dessen ehrliches Gesicht den Stempel der Wahrheit trug und eine unwiderstehliche Überzeugung aussprach; dann wandte er sich an Pepe. »Habt Ihr« fragte er, »in dem Adoptivsohn des Gambusinos Marcos Arellanos den Sohn der Gräfin von Mediana wiedererkannt?«
    »Ich müßte niemals seine Mutter gesehen haben, um ihn länger als einen Tag nicht als solchen zu erkennen«. erwiderte Pepe. »Übrigens möge mich der Herzog von Armada Lügen strafen.«
    Don Antonio war zu stolz zum Lügen und konnte die Wahrheit nicht leugnen, ohne sich in den Augen der drei Mitglieder des improvisierten Tribunals herabzusetzen, ohne das einzige Verteidigungsmittel zu vernichten, zu dem sein Stolz und der geheime Wunsch seines Herzens ihm seine Zuflucht zu nehmen gestatteten. »Es ist wahr«, sagte er; »dieser Mann ist von meinem Blut; ich könnte es nicht leugnen, ohne meine Lippen mit einer Lüge zu besudeln. Die Lüge ist die Tochter der Feigheit.«
    Diaz senkte das Haupt, ging wieder an seinen Platz und sagte nichts weiter.
    »Ihr habt es gehört«, sagte Fabian; »ich bin gewiß der Sohn dieser von dem hier gegenwärtigen Mann ermordeten Frau. Ich habe also das Recht, Rache für sie zu nehmen. Was sagt nun das Gesetz der Steppe?«
    »Auge um Auge«, antwortete Bois-Rosé.
    »Zahn um Zahn«, fügte Pepe hinzu.
    »Blut um Blut«, schloß Fabian, »Tod um Tod!« Dann wandte er sich an Don Antonio und sprach langsam die Worte aus: »Ihr habt Blut vergossen und getötet; es wird Euch geschehen, was Ihr anderen getan habt. Gott hat so gesprochen und will es so.«
    Fabian entblößte seinen Dolch; die Sonne überflutete mit ihrem Morgenlicht die Steppe und die Gegenstände darin warfen lange Schatten. Ein heller Blitz leuchtete von der nackten Klinge des jüngsten der beiden Mediana. Fabian stieß die Spitze in den Sand. Der Dolch warf einen seiner Länge gleichen Schatten.
    »Die Sonne«, sagte Fabian, »wird die Augenblicke bestimmen, die Euch zu leben übrigbleiben. Sobald der Schatten dieses Dolches waagrecht fällt, werdet Ihr vor Gott erscheinen, und meine Mutter wird gerächt sein.« Ein tiefes Schweigen folgte den letzten Worten Fabians, der unter dem Gewicht schmerzlicher, so lange Zeit unterdrückter Gemütsbewegungen mehr auf den Stein zurückfiel, als daß er sich darauf niederließ. Bois-Rosé und Pepe waren gleichfalls schweigend sitzen geblieben, so daß den Verurteilten ein Dreieck von Büchsen umgab, da jeder einen Winkel des Dreiecks eingenommen hatte. Alle vier blieben unbeweglich ...
    Diaz fühlte nun wohl, daß alles vorbei sei, und wollte bei der Ausführung des Urteilsspruchs nicht gegenwärtig sein. Er näherte sich, ohne zu sprechen, dem Herzog von Armada, beugte ein Knie vor ihm, ergriff seine Hand und küßte sie, immer noch schweigsam. »Ich werde für das Heil Eurer Seele beten«, sagte er endlich mit leiser Stimme. »Señor Herzog von Armada, entbindet Ihr mich meines Eides?«
    »Ja«, erwiderte Don Antonio mit fester Stimme. »Geht, und Gott segne Euch für Eure Ehrenhaftigkeit.«
    Der edle Abenteurer entfernte sich schweigend. Sein Pferd war nicht weit davon stehengeblieben. Diaz ging darauf zu, nahm den Zügel in die Hand und entfernte sich langsam in Richtung der Flußgabel.
    Unterdessen beschrieb die Sonne an einem wolkenlosen Himmel ihren ewigen Kreis. Die Schatten wurden nach und nach kürzer; die schwarzen Geier schwebten immer

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