Der Waldläufer
noch kreisend über ihnen, und dumpfer Donner grollte noch wie einen Augenblick vorher unter der Dunsthülle der Nebelberge wie ein fernes Gewitter.
Bleich, aber ergeben, war der unglückliche Graf von Mediana aufrecht stehen geblieben. In eine letzte Träumerei versunken, schien er nicht zu bemerken, daß der Schatten immer kürzer wurde. Die äußeren Gegenstände verschwanden vor seinen Augen zwischen einer Vergangenheit, die ihm nicht mehr gehörte, und der Ewigkeit, die sich bald vor ihm öffnen sollte. Sein Stolz jedoch kämpfte immer noch in seinem Herzen, und er bewahrte ein hartnäckiges Schweigen.
»Señor Graf von Mediana«, nahm Fabian, einen letzten Versuch machend, das Wort, »in fünf Minuten wird der Dolch keinen Schatten mehr werfen!«
»Ich habe nichts über die Vergangenheit zu sagen«, antwortete Don Antonio; »ich habe mich nur noch mit der Zukunft meines Namens zu beschäftigen. Täuscht Euch nicht über den Sinn der Worte, die Ihr jetzt hören werdet; in welcher Gestalt der Tod sich mir auch zeigen möge, er hat nichts Schreckliches für mich.«
»Ich höre«, sagte Fabian sanft.
»Du bist noch sehr jung, Fabian«, fuhr Mediana fort; »das vergossene Blut wird darum nur noch länger auf dir lasten.«
Fabian machte eine Gebärde der Angst.
»Warum willst du so bald dieses Leben besudeln, das du kaum erst begonnen hast? Warum willst du nicht dem Weg folgen, den eine unverhoffte Gnade der Vorsehung vor dir öffnet? Gestern warst du arm und ohne Familie. Gott gibt dir eine Familie zu derselben Zeit, wo er dir Reichtum verleiht. Das Erbe deines Namens ist in meinen Händen nicht geringer geworden; in einem Zeitraum von zwanzig Jahren habe ich den Namen Mediana zur Höhe der berühmtesten Namen Spaniens erhoben, und ich bin bereit, ihn mit allem Glanz, den ich ihm habe beifügen können, zurückzugeben. Nimm doch ein Gut zurück, das ich dir freudig und glücklich abtrete, denn mein einsames Leben schien mir sehr drückend; aber erkaufe es dir nicht durch ein Verbrechen, von dem dich eine eingebildete Gerechtigkeit nicht freisprechen wird und das du bis zum letzten Tag deines Lebens beweinen wirst.«
»Der Richter, der auf seinem Richterstuhl sitzt, hat nicht das Recht, auf die Stimme seines Herzens zu hören. Sein Gewissen und der Dienst, den er der Gesellschaft leistet, machen ihn stark; er kann den Schuldigen beklagen, aber seine Pflicht erheischt es, ihn zu verdammen. Diese beiden Männer und ich repräsentieren in diesen Einöden die menschliche Gerechtigkeit. Vernichtet die Anklagen, die auf Euch lasten, Don Antonio, und von uns beiden werdet Ihr nicht der Glücklichste sein, denn nur bebend stehe ich als Ankläger hier. Es liegt aber nicht in meiner Macht, mich der Pflicht, die Gott mir auferlegt hat, zu entziehen.«
»Bedenke es wohl, Fabian: nicht Verzeihung, sondern Vergessenheit nehme ich in Anspruch. Dank diesem Vergessen wird es nur von dir abhängen, als der Sohn, den ich adoptieren werde, ein Mediana, der Erbe eines fürstlichen Hauses, zu sein. Nach meinem Tod werden diese Titel nur noch ein leeres Wort sein.«
Bei diesen Worten bedeckte eine tödliche Blässe die Stirn des jungen Mannes; aber er stieß die Versuchung des Stolzes, die im Grund seines Herzens aufstieg, zurück und verschloß das Ohr der Stimme, die ihm einen reichlichen Anteil von menschlicher Größe vorhielt, als ob er nur das eitle Rauschen des Windes gehört hätte, der im Laub der Weiden murmelt. »O Mediana, warum müßt Ihr meine Mutter getötet haben?« rief Fabian, indem er das Gesicht mit beiden Händen verhüllte. Dann warf er einen Blick auf den im Sand steckenden Dolch und fügte mit feierlicher Stimme hinzu: »Señor Herzog von Armada, der Dolch wirft keinen Schatten mehr!«
Don Antonio erbebte wider seinen Willen; erinnerte er sich etwa jetzt der prophetischen Drohung, die die Gräfin von Mediana ihm zwanzig Jahre vorher zugerufen hatte? »Vielleicht«, hatte sie ihm gesagt, »wird der Gott, den Ihr verspottet, Euch einst mitten in der Wüste, wohin die Menschen noch nie gedrungen sind, einen Ankläger, einen Zeugen, einen Richter und Henker finden lassen.«
Ankläger, Richter und Zeuge – alles befand sich vor seinen Augen; wer aber sollte der Henker sein?
Es sollte jedoch nichts an der Erfüllung der furchtbaren Vorhersagung fehlen. Ein Geräusch wie von zerbrochenen Zweigen ließ die handelnden Personen in diesem Drama, dessen Entwicklung die Sonne ein Ziel setzen sollte, ihre Augen
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