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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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Antlitz ganz und gar, als ob er es den Augen der Vorübergehenden hätte verbergen wollen. Die Kleidung des unglücklichen Reisenden verriet seine Armut. Sein Anzug bestand außer dem Hut, der seine Züge verhüllte und vor Alter das Stroh sehen ließ, aus einer Indienneweste, deren Farben die Sonne ausgesogen hatte, und aus Calzoneras aus Nankin mit Drahtknöpfen, die in keinem besseren Zustand schienen als die Weste. Das war alles, was man in der Dunkelheit von ihm sehen konnte.
    »Benito«, sagte der Spanier zu einem seiner Diener, »entfernt mit der Spitze Eurer Lanze den Hut, der das Gesicht dieses Mannes bedeckt; vielleicht ist er nur eingeschlafen.«
    Der Diener vollbrachte den Befehl seines Herrn und nahm den Hut weg, ohne einen Fuß auf die Erde zu setzen; aber der Mann auf der Erde machte keine Bewegung. Was sein Gesicht betraf, so war es unmöglich, es zu unterscheiden – die Dunkelheit nahm schnell zu, wie gewöhnlich in tropischen Gegenden.
    Don Estévan wandte sich darauf an Cuchillo und sagte: »Es ist zwar nicht Eure Lieblingsneigung, aber wenn Ihr eine Handlung der Menschlichkeit tun und versuchen wollt, diesen armen Teufel ins Leben zurückzurufen, so wird für Euch eine halbe Unze Gold bereit sein in dem Fall, daß Ihr ihn rettet.«
    »Caspita! Don Estévan, Ihr täuscht Euch über meinen Charakter; ich bin der wohlwollendste Mensch, wenn – ich mein Interesse habe, es zu sein. Vorwärts! Ich müßte viel Unglück haben, wenn ich Euch nicht heute abend diesen Schelm da zu unserem Nachtlager an der Poza bringe.« Mit diesen Worten sprang Cuchillo vom Pferd, legte ihm die Hand auf den Hals und sagte: »Sachte, Tordillo; warte hier und rühre dich nicht!«
    Das Pferd scharrte mit dem Huf den Boden, nagte am Gebiß, gehorchte aber der Stimme seines Herrn.
    »Müssen wir einen unserer Leute bei Euch lassen?« fragte der Senator.
    Cuchillo hatte nicht Lust, einen Gehilfen anzunehmen, der einen Teil der versprochenen Belohnung hätte beanspruchen können, und der Trupp entfernte sich. Cuchillo blieb allein. Nun näherte er sich dem Mann auf der Erde und neigte sich über ihn, um seine Züge zu mustern und zu sehen, ob noch einige Hoffnung sei, ihn zu retten.
    Beim Anblick der Gesichtszüge des Sterbenden bebte der Bandit. »Ach«, rief er, »Tiburcio Arellanos!«
    Es war wirklich der Adoptivsohn des Gambusinos, der als Cuchillos Opfer gefallen war, oder – um es genauer zu sagen – es war Fabian de Mediana, den er vor sich hatte.
    »Ich irre nicht. Er ist es wahrhaftig! Wenn er nicht schon tot ist, so ist er wenigstens nicht viel besser dran«, sagte der Abenteurer leise, betroffen von der tödlichen Blässe, die das Antlitz des jungen Mannes bedeckte.
    Ein teuflischer Gedanke fuhr durch seine Seele. Derjenige, der vielleicht mit ihm ein Geheimnis teilte, das er durch ein Verbrechen erkauft hatte, befand sich in seinen Händen, tief in einer Einöde, wo niemand ihn sehen konnte. Cuchillo brauchte ihm nur den Rest zu geben, wenn er noch nicht tot war, und zu sagen, daß er ihn nicht habe retten können. Wer wollte das Gegenteil beweisen? Sollte er jetzt nicht sein Geheimnis auf alle möglichen Fälle sichern? Alle natürliche Wildheit des Elenden war erwacht; Cuchillo zog sein Messer und legte mechanisch die Hand auf das Herz Tiburcios. Eine schwache Bewegung zeugte noch von Leben. Der Bandit hob den Arm – aber hielt inne.
    Geradeso, dachte er, habe ich den getroffen, den dieser junge Mann Vater nannte. Ich habe ihn erwürgt in dem Augenblick, als er neben mir ohne Furcht, ohne Mißtrauen ruhte. Ich sehe ihn noch, wie er mir den Rest eines schon halb erloschen Lebens streitig machte. Ich fühle noch auf meinen Schultern das Gewicht seines Leichnams, als ich ihn in den Fluß warf. Und der Bandit blickte in der Dunkelheit und dem feierlichen Schweigen der Steppe fast furchtsam um sich.
    Die Erinnerung an Arellanos rettete das Leben Tiburcios. Cuchillo setzte sich schweigend neben dem jungen, noch immer unbeweglichen Mann nieder, und seine Hand steckte mechanisch den Dolch wieder in die Scheide. Dann erhob sich eine Stimme in seinem Inneren und sprach viel lauter als sein Gewissen – es war die Stimme des Eigennutzes.
    Da er die seltenen Eigenschaften Tiburcios – seine Geschicklichkeit als Rastreador und seinen zuweilen tollkühnen Mut – kannte, so glaubte Cuchillo, die finsteren Entschlüsse, die er gefaßt hatte, aufschieben zu müssen, und er beschloß – doch mit dem Vorsatz, ihn aufmerksam zu

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