Der Waldläufer
Ihr an, zu begreifen?«
»Nein«, sagte Cuchillo.
»Wohlan! Ihr werdet es jetzt durch einige sehr einfache Fragen begreifen lernen. Hier ist die erste: Habt Ihr auf Eurer Expedition mit Arellanos nicht ein Pferd geritten, das mit dem linken Fuß strauchelte?«
»Ach!« machte Cuchillo erbleichend.
»Sind es wohl die Indianer, die Euren Gefährten erwürgt haben?«
»Ich soll es vielleicht sein?« wiederholte der Bandit mit häßlichem Lächeln.
»Habt Ihr nicht in einem tödlichen Kampf eine Wunde am Fuß erhalten? Habt Ihr nicht auf Euren Schultern den Leichnam Arellanos' getragen?«
»Ja, um ihn den Beschimpfungen der Indianer zu entziehen!«
»Und aus diesem Grund stürztet Ihr in einen nahen Fluß einen Leichnam, der – vielleicht noch gar kein Leichnam war?«
Der helle Mondschein warf durch das Blätterdach der Granatbäume ein bleiches Licht auf die Gestalt des Banditen, der mit verstörten Blicken diese Beweise eines Mordes anhörte, ohne begreifen zu können, woher sie kamen; eines Mordes, den er für immer in der Steppe begraben wähnte.
Man kann sich leicht denken, daß Cuchillo beim Verkauf seines wertvollen Geheimnisses an Don Estévan sich nicht mit großer Selbstliebe wegen der Art und Weise gerühmt hatte, wie er in dessen Besitz gekommen war. Er war leicht über seine erste Expedition nach dem Val d'Or – wenigstens was seine Gefährten betraf – hinweggegangen, um einzig und allein die Einzelheiten hervorzuheben, die am meisten geeignet waren, den Señor aus Spanien von der Wichtigkeit der Entdeckung zu überzeugen. Man kann sich nun einen Begriff von seinem Entsetzen machen, als er sah, daß die Steppe geredet hatte.
»Weiß Tiburcio das?« fragte Cuchillo mit schlecht verhehlter Ängstlichkeit.
»Nein; aber er weiß, daß der Mörder seines Vaters ein Pferd hatte wie das Eure; daß er am Fuß verwundet war; daß er den Leichnam seines Vaters ins Wasser geworfen hat; er weiß nur den Namen des Mörders nicht. Doch damit ich auf Eure Ehrlichkeit bauen kann ... Ich meinesteils werde bei dem geringsten Argwohn dieses Geheimnis jenem jungen Mann übergeben, der Euch wie einen Skorpion zertreten wird ... Echtes Blut kann sich nicht verleugnen. Also, ich wiederhole es Euch: Kein Verrat, Cuchillo, keine Treulosigkeit, oder Euer Leben wird mir dafür bürgen.«
Solange ich es noch habe, sollst du dieses Geheimnis bezahlen, dachte Cuchillo bei sich. Was Tiburcio anlangt, so kann man es morgen um diese Zeit seinen Ohren anvertrauen – sie werden es nicht mehr hören. »Wie dem auch sein mag«, sagte er unverschämt; »Eure Herrlichkeit hat mir nicht bewiesen, daß dieser junge Mann Doña Rosarita liebt, und bis auf weiteres muß ich daran zweifeln, daß mein Scharfsinn ...«
»Still!« sagte der Spanier. »Ich glaube hier ganz nahe Stimmen zu hören, die einander antworten.«
Sie verhielten sich ruhig. Durch den Garten gehend waren sie nicht weit von einem Pavillon angekommen, den die Tochter des Hacenderos bewohnte; und so groß war die Stille der Nacht, daß in ziemlich großer Entfernung die Stimmen – sogar die einzelnen Worte vernehmbar waren.
16 Die Liebe hinter dem Gitter
In dem Augenblick, wo alles Geräusch des Tages nahe und fern verstummt war; wo die Nachtluft, kühl und duftend, kaum in dem weiten Garten der Hacienda leise rauschte, war keine Täuschung möglich über die Stimmen, die man hörte. So groß war die Ruhe in der Luft, daß weit von da im Wald hinter der Wohnung Don Agustins der widerhallende Ruf des wilden »Cuitlacoche«, der sich nachts auf den Schlingpflanzen über den Wasserfällen hin und her schaukelt, bis zu den Ohren der nächtlichen Spaziergänger gelangte.
»Das ist die Stimme Tiburcios und Doña Rosaritas!« sagte der Bandit.
»Halt, Cuchillo, da haben wir schon, wie mir scheint, einen Anfang des Beweises.« Ein Gedanke kam dem Spanier plötzlich wie ein Blitzstrahl. Wenn dieses junge Mädchen ihn zufällig liebte, sagte er bei sich, so müßte man also auf eine Heirat verzichten, die ich zum Eckstein eines großen politischen Gebäudes gemacht habe! Obgleich der Spanier der einzige war, der den wirklichen Stand und den Namen Tiburcios wohl wußte, und in seinen Augen der letzte Mediana der Tochter des Hacendero keineswegs unwürdig war, so hatte er doch keinen einzigen Augenblick voraussetzen können, daß Doña Rosarita die Liebe eines jungen Mannes erwidern würde, der in seinen eigenen Augen – wie in den Augen anderer – nur ein Kind ohne
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