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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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Plädoyers der Staatsanwälte oder des unwiderstehlichen Charmes der Verteidiger«. Allein die Wissenschaft liefere, angemessen vorgetragen, die Grundlage für die Entscheidung über Schuld oder Unschuld.
    Lacassagnes Einzug in den Gerichtssaal entsprach diesen Forderungen voll und ganz. Seine Kleidung war nüchtern, sein Schritt selbstsicher, sei Blick strahlte Autorität und Intelligenz aus. Die Fragen des Richters beantwortete er klar und ohne Überheblichkeit, und mit den Geschworenen sprach er einfach und respektvoll. Er erhob nie die Stimme und wirkte niemals erregt oder beunruhigt. Seiner Meinung nach repräsentierte er das klare Licht der Wissenschaft, und er wollte, dass auch die Geschworenen dies spürten. Offenbar gelang ihm das. Denn der Reporter des Lyon Républicain schrieb: »Er legte seinen Bericht mit großer Präzision und geordnet vor und machte auf die Zuhörer großen Eindruck.«
    Die lärmende Menge verstummte, als Lacassagne vereidigt wurde. Der Gerichtsdiener reichte dann jedem Geschworenen eine Kopie der Skizzen, die Lacassagne hatte anfertigen lassen, um die Tatorte besser beschreiben zu können. Niemand hielt die Reaktion der Geschworenen fest, aber es ist anzunehmen, dass sie entsetzt waren. Als sie die Fassung wiedergewonnen hatten, begann die Aussage.
    Lacassagne erläuterte die Rolle der Experten in diesem Fall und seinen Auftrag, Vachers Verhalten während der jahrelangen Mordserie zu analysieren. Er begann mit Vachers Entlassung aus der Nervenheilanstalt Saint-Robert und beschrieb, wie er sein erstes Opfer, Eugénie Delhomme, ermordet hatte. Er wies auf die forensischen Merkmale hin, die das Würgen, das Durchschneiden der Kehle und die Verstümmelung der Leiche zurückgelassen hatte. »Wir fanden diese Merkmale bei allen folgenden Verbrechen«, offenbarte er. Dann beschrieb er anhand der grausigen Zeichnungen der Reihe nach die nächsten Taten. Er schilderte detailliert den Mord an Louise Marcel und an Augustine Mortureux, deren Schuhe und Ohrringe gestohlen worden waren, und erwähnte auch, dass Vacher Augustines Leiche hinter einem Schirm versteckt hatte. Schließlich kam er auf den Mord an der Witwe Morand und an Victor Portalier zu sprechen und beschrieb, wie der Täter die Leiche des Jungen mit einem Rasiermesser verunstaltet hatte. Jedes Mal erklärte er genau, wie die physischen Spuren ihm dabei geholfen hatten, die Methoden und den Geisteszustand des Mörders zu ergründen.
    Vacher, der eine Zeit lang ruhig geblieben war, begann nun, dem Arzt mit der Faust zu drohen, und schrie: »Huh! Huh! Huh!«
    Lacassagne ging zu den anderen Verbrechen über. Er wies die Geschworenen auf die Zeichnung von Marie Moussier hin, die im September 1896 ermordet worden war, und deutete auf die halbmondförmigen Male an der linken Nasenseite hin, die von den Zähnen des Täters stammten. Keine andere Leiche wies diese Male auf. Im Gegensatz zu Vachers Behauptung, dass er alle seine Opfer gebissen habe, bewies dies, dass es nur bei Marie Moussier der Fall gewesen war. Lacassagne stellte klar, dass Portalier mit einem Messer oder Rasiermesser verstümmelt worden war und »nicht mit den Zähnen, wie der Angeklagte behauptet hat«.
    »Huh, huh, huh!«, brüllte Vacher erneut. »Warten Sie eine Minute! Warten Sie eine Minute, bis ich darauf eingehe! Huh, huh!«
    Sein Geschrei bildete einen krassen Gegensatz zu Lacassagnes ruhiger Analyse. Der Professor erläuterte den Geschworenen auch die Zeichnungen der restlichen Tatorte. Die gemeinsamen Elemente seien so klar, fügte er hinzu, dass man die »Systematik« der Serienmorde unmöglich übersehen könne. »Vacher suchte seine Opfer nach Geschlecht und Alter aus.« Im Publikum war entsetztes Aufstöhnen zu hören. Lacassagne fuhr fort, indem er die Blutspuren und die Position der Wunden erläuterte.
    »Oh, das ist sehr stark!«, rief Vacher.
    Lacassagne ignorierte ihn. »Vacher hat sich alles gut überlegt.« Seine Methode sei so ungeheuer effizient gewesen, dass »keines der Opfer sich mehr bewegen konnte, als der Überfall begann«. Nach dem Mord wechselte Vacher dann Kleidung und Frisur und entfernte sich schnell und weit von der Leiche, die er »umsichtig« im Wald verborgen hatte. Kurz gesagt, Vachers Verbrechen »waren nicht die eines Geisteskranken, sondern die eines sadistischen, asozialen Individuums. Er ist zurechnungsfähig.«
    »Er lügt!«, schrie Vacher. »Hören Sie, das stimmt nicht. Oh, mein Kopf schmerzt.« Er hob die Arme flehend zum

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