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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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Himmel und stupste dann wiederholt gegen seine rechte Wange, so als wolle er auf die Folgen der Kugel hinweisen.
    »Die Geschworenen beachteten ihn nicht«, schrieb der Reporter des Lyon Républicain . »Sie verfolgten gebannt die überzeugenden Ausführungen Dr. Lacassagnes.«
    De Coston fragte nun, ob bei Vacher irgendwelche Anzeichen für Erbschäden vorlägen.
    »Überhaupt nicht. Nichts deutet auf erbliche Belastung hin. Er ist absolut schuldfähig.«
    Nun erkundigte sich der Richter nach dem Hundebiss und dem Medikament. Lacassagne erwiderte, dass der Biss eines Hundes, selbst eines tollwütigen Hundes, unmöglich die Folgen haben könne, von denen Vacher spreche. »Außerdem wurde er nicht gebissen, sondern abgeleckt.« Er kenne auch keinen Fall, in dem eine Volksmedizin diese angeblichen Folgen gehabt hätte.
    Vacher erhob sich mit einem großen Stück Papier, aber der Richter gab den Wärtern ein Zeichen, und die drückten ihn wieder zurück auf den Stuhl.
    Nun bat der Richter Lacassagne, den Begriff Sadismus zu erklären, der dem Gericht völlig neu war. Die Ausführungen des Arztes zu diesem Thema waren so schockierend, dass keine einzige Zeitung sie wörtlich wiedergab, einige beschränkten sie sogar nur auf Andeutungen. Später veröffentlichte Lacassagne die wichtigsten Passagen seiner Aussage in einem Buch.
    Im Jahr 1892 schockierte und erregte Richard von Krafft-Ebing Europa mit seinen Studien über sexuelle Abweichungen von der Norm. Seine Psychopathia sexualis erforschte die Tabus der damaligen Zeit. Das Buch erlebte zahlreiche Auflagen, verkaufte sich gut und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Unter den vielen Perversionen, die Krafft-Ebing beschrieb, war auch der Sadismus, den er nach dem Marquis de Sade benannt hatte. De Sade hatte etwa 100 Jahre zuvor über sexuelle Grausamkeiten geschrieben und sie auch praktiziert. Nach Krafft-Ebing waren Wut und der Sexualtrieb die beiden stärksten Triebe des Menschen, und es war nicht ungewöhnlich, dass sie miteinander verbunden waren. Oft würden sich diese Triebe auf milde, gesunde Weise überlappen – dies sei der Grund für die verspielten Rangeleien der Liebenden und der Jungverheirateten. Bei manchen Individuen nehme allerdings die Wutkomponente überhand. Diese Menschen könnten »den Zustand der Exaltation, einer intensiven Erregung der gesamten psychomotorischen Sphäre«, nur erreichen, wenn sie den Geschlechtsakt mit extremer Grausamkeit verknüpften.
    Lacassagne erklärte, dass es mehrere Arten von Sadismus gebe. Zum einen könne man von einem »imaginären Sadisten« sprechen, wenn jemand zwar pervers sei, sein sadistisches Handeln aber auf Fantasien beschränke. Der »aktive Sadist« steche Frauen mit Nadeln (die weitaus meisten Sadisten waren Männer). Und es gebe »blutdürstige Sadisten«, die wahrhaft schreckliche Taten verübten – sie quälten ihre Opfer vor dem Sex und danach oder töteten sie und verstümmelten ihre Geschlechtsorgane. Zu dieser Gruppe gehörten mehrere bekannte Lustmörder: Gilles de Rais, der Kindermörder im 15. Jahrhundert, Jack the Ripper in London, der immer noch auf freiem Fuß war, der Italiener Vincenzo Verzeni, der drei Frauen überfallen und vermutlich drei weitere getötet und verstümmelt hatte, und der junge Jesse Pomeroy in Boston, der 15 Jahre alt gewesen war, als man ihn verurteilt hatte – er hatte drei Kinder getötet und mehrere andere gequält. Alle wandten ähnliche Methoden an: Dem Mord folgte die sexuelle Befriedigung durch das Verstümmeln der Leiche. Lacassagne verwies darauf, dass Lustmorde häufig Wiederholungsverbrechen waren. Jeder Überfall erfolge »unter den gleichen Umständen und auf die gleiche Weise«. Vachers Taten passten eindeutig in dieses Schema, daher sei er ein »blutrünstiger Sadist«. Nervenärzte hielten Sadisten jedoch nicht für geisteskrank, betonte Lacassagne, und das solle das Gericht ebenfalls nicht tun.
    Nach einer Stunde war Lacassagne fertig. Die Wirkung seiner Aussage war »schrecklich für den Angeklagten«, schrieb ein Reporter der Dépêche de Toulouse .
    Danach trat Lacassagnes Kollege Dr. Fleuy Rebatel in den Zeugenstand. Er berichtete, dass das, was er über Vachers Jugend und Familie herausgefunden habe, dafür spreche, dass dieser körperlich und geistig gesund sei. Als er auf Louise Barant geschossen habe, sei er vielleicht zeitweilig geistig verwirrt gewesen, aber in der Anstalt Saint-Robert habe man ihn geheilt. Dr. August Pierret, das dritte

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