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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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verurteilt. Ein Kriminalpsychologe meinte, dass Vacher, selbst wenn er seinen Wutanfällen vielleicht nicht habe widerstehen können, sich doch gezielt in Situationen begeben habe, die solche Anfälle auslösten, so als wolle er sie absichtlich hervorrufen.
    Auch heute würde man Vacher vor Gericht stellen. Allerdings wäre es in den meisten Ländern nicht mehr üblich, die Todesstrafe zu verhängen. Doch selbst heute noch quält sich der gesunde Menschenverstand mit einem Widerspruch: Kann jemand, der zu solchen Gräueltaten fähig ist, wirklich nicht geisteskrank sein? Darum plädierte Vachers Verteidiger im 19. Jahrhundert: »Ein Verbrechen ohne Motiv? … Wer würde unter diesen Umständen nicht sofort sagen: Dieser Mann ist verrückt?«
    Mehr als ein Jahrhundert nachdem diese Frage gestellt wurde, grübeln wir immer noch darüber, ob das menschliche Verhalten je ganz verstanden werden kann. Juristen und Psychologen unterscheiden sorgfältig zwischen geistiger Gesundheit und Geisteskrankheit, zwischen Schuldfähigkeit und Schuldunfähigkeit. Mit ihren Definitionen verfolgen sie das Ziel, geistige Störungen zu diagnostizieren und zu verstehen und sowohl die Gesellschaft als auch Geisteskranke zu schützen. Allerdings fehlt ihren Theorien die moralische Komponente. Das mag im Zeitalter der Wissenschaft ein altmodischer Begriff sein, aber im rätselhaften Bereich der menschlichen Natur ist er dennoch angebracht. Die Experten sind auch die Ersten, die das einräumen. Ein Neurologe beschrieb stundenlang die neuesten Fortschritte in seinem Fachgebiet und erläuterte, wie fehlerhafte Nervenbahnen im Gehirn eine Neigung zu Freveltaten befördern können. Das erinnerte an die Arbeit des Wiener Neurologen Moritz Benedikt, der im 19. Jahrhundert die Gehirne hingerichteter Verbrecher seziert hatte, um ein »Moralzentrum« zu finden. Sind die modernen Neurologen diesem Ziel etwa näher gekommen? Der Mediziner erklärte, er und seine Kollegen seien in ihren Bemühungen, das Gehirn zu verstehen und Störungen zu entdecken, die negative Auswirkungen haben können, sehr weit fortgeschritten. Aber die Frage nach den Ursachen des bösartigen Impulses falle immer noch in die Zuständigkeit der Philosophen und Theologen. Eine Kriminalpsychologin, die sich mit vielen Serienmördern unterhalten hat – sie war es auch, die Psychopathen »leere Schalen« nannte –, diskutierte mit mir mehrere Stunden lang über ihre Beobachtungen. Dann schilderte sie einen Fall, in dem sie für kurze Zeit den Eindruck gehabt hatte, dass all ihre Ausbildung ihr absolut nichts nutze. Sie hatte mit einem Serienmörder gesprochen, ihm in die Augen geblickt und war überwältigt gewesen von dem Gefühl, »dem absolut Bösen ins Auge zu sehen«. Als Wissenschaftlerin lehnte sie eine solche Ausdrucksweise eigentlich ab, denn sie hatte gelernt, sich auf Fakten zu stützen. Doch in der Sprache der Wissenschaft konnte sie das nicht wiedergeben, was sie in diesem Moment gesehen hatte. »Ich schwöre, dass dieser Mensch irgendwie anders war – ich spürte, dass ich in einen Abgrund blickte.«
    Das Streben nach Wissen über das Verbrechen hat eine jahrhundertelange Entwicklung durchgemacht: von den Anfangszeiten, als alle Verbrechen einfach nur Sünde waren, bis zu den aufgeklärteren Phasen, in denen Gesellschaften Gesetze erließen, um Verbrechen zu definieren und zu kontrollieren, und Wissenschaftler Wege fanden, um Verbrechen aufzudecken und zu lösen. Auch der Umgang mit Verbrechern wurde nuancierter und humaner, den Umwelteinflüssen und dem Geisteszustand wurde größere Bedeutung beigemessen. Doch die tiefsten und quälendsten Fragen zur Natur des Menschen bleiben hartnäckig im spirituellen und moralischen Bereich angesiedelt. Vielleicht lässt die menschliche Natur es nicht zu, dass wir analysieren und erklären können, was wir am meisten fürchten. Wir werden nie verstehen, warum Menschen wie Vacher Chaos und Gewalt in die Welt bringen, während wir uns bemühen, Frieden und Sicherheit zu bewahren. Wir können die Quelle dieses Dranges nicht erklären, können ihn aber studieren und versuchen, die Flut einzudämmen.

Danksagung
    Ich danke meinem Agenten Todd Shuster, der ein Thema vielversprechend fand, das ich schon fast aufgegeben hatte, und mich während seiner Ausarbeitung begleitet hat. Ohne sein Gespür und seine Intelligenz gäbe es dieses Buch nicht. Jonathan Segal, mein Lektor, teilte unsere Vision und formte dieses Buch geschickt, zäh und

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