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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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ihn wieder fortschickte. Während eines seiner letzten Vollzeitjobs auf einem Bauernhof im Rhonetal ließ er sich lautstark über Anarchismus aus und forderte, den Reichen die Gurgel durchzuschneiden. »Eines Tages wird mein Name Geschichte schreiben!«, schrie er, als der Bauer ihn auszahlte und ihm die Tür wies.
    Da es im Mordfall Louise Marcel keine ernsthaften Verdächtigen gab, nahm die Polizei Charles Roux fest, den Nachbarn, der die Leiche entdeckt hatte. Die Ermittler behaupteten, er müsse den Tatort gekannt haben, um die Tote an einem so verborgenen Platz zu finden. Außerdem hatte man Abdrücke von Schuhen mit Holzsohlen in der Nähe gefunden – und Roux trug solche Schuhe. Es kümmerte die Polizei nicht, dass vermutlich die halbe Einwohnerschaft diese traditionellen Schuhe mit Holzsohlen trug. Letztlich wurde Roux jedoch freigelassen, aber die Eltern und Nachbarn des Mädchens beschuldigten ihn weiterhin.
    Zwei Wochen später wurde etwa zehn Kilometer entfernt ein älteres Ehepaar in seinem Haus ermordet. Als die Polizei das Verbrechen rekonstruierte, kam sie zu dem Schluss, dass die Frau die Tür geöffnet hatte und mit nicht weniger als neun Stichen getötet worden war. Ihr Mann, der eben zu Bett gehen wollte, hatte einen Schnürsenkel aufgebunden, als der Mörder hereinplatzte. Er versuchte, sich zwischen dem Bett und der Wand in Sicherheit zu bringen, und hob den rechten Arm, um sich zu schützen, wie die Wunden belegten. Auch er wurde getötet und mit 15 kraftvollen Stichen verstümmelt. Der Mörder stahl 600 Francs und floh mit einem Sack Weizen. Zeugen berichteten, sie hätten in der Gegend einen Mann gesehen, auf den Vachers Beschreibung passte, und ein großer Blonder habe ihn begleitet. (In den nächsten paar Jahren sagten Zeugen wiederholt aus, diese zwei Männer zusammen gesehen zu haben. Aber der blonde Mann wurde nie vernommen oder festgenommen.)
    Nachdem Vacher drei Morde in zwei Wochen begangen hatte, war ihm wohl bewusst, dass er die Gegend verlassen musste. Es war Ende Dezember, und Vagabunden zogen normalerweise nach Süden, um der Kälte und dem Schnee zu entfliehen. Vacher fühlte sich hingegen in Isère und Savoyen, seiner Heimat, wohler und wanderte nach Norden. Ende 1894 stellte ihn ein Bauer außerhalb von Grenoble als Kuhhirte ein, aber Vacher kündigte nach der Hälfte der vereinbarten Zeit. Als der Bauer ihn nicht auszahlen wollte, bedrohte Vacher ihn. Der Mann lief daraufhin weg, um Hilfe zu holen, doch als er zurückkam, war der Vagabund verschwunden.
    Eine Gesellschaft, in der viele Benachteiligte leben, hat zwei Möglichkeiten. Sie kann den Notleidenden helfen oder sie als »die anderen« abstempeln, die ihr Schicksal verdienen. Wie andere Länder entschied Frankreich damals, die Vagabunden seien »die anderen« – sie unterschieden sich von der sesshaften Bevölkerung und bedrohten die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft. (Amerikas Vagabunden ging es in der Blütezeit der Wirtschaft nicht besser. Eine Zeitung in Chicago schlug vor, einige von ihnen zu vergiften, um die anderen abzuschrecken. Der Dekan der juristischen Fakultät von Yale nannte sie »unverbesserliche, feige, durch und durch verdorbene Wilde«.) Die Beschäftigung mit den Vagabunden wurde in ganz Europa zur Besessenheit, aber man studierte sie ähnlich wie Braunfäule oder ansteckende Krankheiten. Es gab internationale Konferenzen über das Problem, und Gelehrte schrieben Dutzende von Arbeiten darüber. In einer Sprache, die wir heute als rassistisch empfinden, bezeichnete man die Vagabunden nicht als unglückliche Menschen, sondern als gefährliche oder minderwertige Schichten oder als sozialen Müll.
    »Landstreicherei liegt im Blut«, versicherte ein prominenter Sozialkritiker der damaligen Zeit, »und das gilt für Kinder ebenso wie für Erwachsene.« Die meisten Experten teilten seine Meinung. Niemand bestritt zwar, dass das Phänomen entstanden war, als die wirtschaftlichen Bedingungen sich verschlechtert hatten, doch nach der allgemein vorherrschenden Meinung hatte die Wirtschaftsflaute die Situation nicht hervorgerufen, sondern nur angeborene Neigungen verstärkt. Es gab eben den geborenen Verbrecher Lombrosos, und es gab geborene Vagabunden, deren Zahl anschwoll, wenn es mit der Wirtschaft bergab ging. Sicher gab es eine kleine Zahl von »schicksalhaften« Vagabunden, deren Familien ihre überschuldeten kleinen Bauernhöfe verloren hatten, aber die »echten« Landstreicher wurden mit einem

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