Der Wandermoerder
gehen, den düsteren Eichenwald entlang der Strecke. Zu ihrem Schutz nahm sie daher ihren kleinen Hund Quiqui mit.
Sie verließ das Haus um neun Uhr morgens. Der Himmel sah nach Regen aus, darum nahm sie einen Schirm mit. Unterwegs traf sie einen Waldarbeiter namens Chaignay, der versprach, sie im Auge zu behalten, bis sie außer Sicht war. In einem Nachbardorf war dieser Tag ein Feiertag, und sie fühlte sich erheblich besser, als sie anderen Fußgängern begegnete. Radfahrer kamen ihr entgegen, unter ihnen auch ein Mann namens Messner, ein Stadtrat aus Dijon. Einige Augenblicke vorher hatte Messner einen Vagabunden überholt, dessen bedrohliches Aussehen ihn hatte frösteln lassen. Doch Augustine ging weiter. Chaignay schaute zu, wie sie in der Ferne immer kleiner wurde. Als sie an einer Kurve hinter ein paar Bäumen verschwand, wandte sich Chaignay wieder seiner Arbeit zu.
Einige Stunden später ging eine Frau namens Gaumard mit ihren beiden kleinen Töchtern die Straße entlang, begleitet von ihrem Vetter, einem Soldaten auf Urlaub. Eines der Mädchen bemerkte in der Ferne eine auf dem Boden liegende Gestalt, die ein aufgespannter Schirm fast ganz verbarg. »Schau, Mama«, rief sie, »da macht eine Radfahrerin ein Nickerchen.« Auf dem Rückweg, etwa eine Stunde später, warfen die Kinder frech ein paar Kieselsteine, um die Schlafende zu wecken. Als diese nicht reagierte, näherte sich der Soldat dem Körper. Dann liefen sie alle weg und informierten die Nachbarn über ihre entsetzliche Entdeckung.
An diesem Nachmittag spazierte auch ein Mönch namens François Brûlé auf derselben Straße, als er drei lebhaften kleinen Jungen begegnete, die im Bois du Chêne Pilze sammeln wollten. Sie gingen gemeinsam weiter und plauderten. Als sie sich einem Feldweg näherten, dessen Ränder zu einer steilen, schattigen Böschung abfielen, lief einer der Jungen voraus, weil er einen süßen kleinen Hund sah, der laut bellte. Dann schrie er auf.
Der Hund stand neben der Leiche eines Mädchens, das in einer Mulde lag, aus der jemand etwas Geröll entfernt hatte. Ein offener Regenschirm verdeckte sie teilweise. Ihre Röcke waren nach oben geschoben und ihre Bluse aufgerissen worden. Brûlé glättete die Kleider, wie der Anstand es gebot, und bedeckte auch ihre schlimmen Wunden. Offenbar hatte jemand ihre Schuhe gestohlen.
Dann lief der Mönch ins nächste Dorf und platzte in eine Kneipe, in der Eugène Grenier, ein reicher Grundbesitzer, mit ein paar Freunden Karten spielte. Als dieser die Nachricht hörte, ließ er den Mönch und einige andere Leute in seine Kutsche einsteigen und befahl dem Kutscher, sie schnell in den Bois du Chêne zu bringen. Schon in einiger Entfernung vom Tatort schrie Grenier: »Dort ist sie! Ich kann sie sehen!«
Im Laufe des Nachmittags versammelte sich eine Menschenmenge am Fundort. Radfahrer beeilten sich, um die örtlichen Behörden zu informieren. Innerhalb weniger Stunden drängelten sich fast 300 Menschen um den Tatort, darunter auch die entsetzten Eltern des Mädchens. Niemand verstand, wie ein Mensch auf einer so belebten Straße mitten am Tag einen Mord hatte begehen können. Irgendwann offenbarte Frau Gaumard, die ebenfalls zu der Menschenmenge gestoßen war: »Wir haben sie schon vor einer Weile gesehen.«
Die Behörden inspizierten nun den Tatort und brachten die Leiche ins Rathaus von Étaules, wo Dr. J. Quioc von der medizinischen Fakultät in Dijon die Autopsie vornahm. Er stellte fest, dass der Tod rasch eingetreten sein musste, denn die Tote hatte eine tiefe Stichwunde im Hals sowie mehrere andere Wunden und Prellungen. Ein Stich hatte die Lunge durchdrungen, war aber nicht tödlich gewesen. Dr. Quioc bemerkte Blut, das sich hinten in der Lunge angesammelt hatte, ein Indiz dafür, dass der Täter auf sie eingestochen hatte, nachdem sie zusammengebrochen und auf den Rücken gefallen war. Hätte sich das Blut unten in der Lunge befunden, wäre ihr die Wunde wohl im Stehen zugefügt worden. Quioc konnte keine Anzeichen für eine Vergewaltigung entdecken. Ihre Unterwäsche war mit Blut beschmiert, was darauf schließen ließ, dass der Täter sich die Hände gewaschen und dann an ihrer Kleidung abgetrocknet hatte. Zum Schluss notierte der Arzt, dass offenbar ihre Ohrringe gestohlen worden waren, denn die Löcher in den Ohrläppchen waren leer. Jemand musste sie sehr vorsichtig entfernt haben, denn es waren keine Wunden zu sehen.
Zwei Beamten wurden mit den Ermittlungen beauftragt:
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