Der Wandermoerder
Ein Freund Greniers, dem das Grundstück gehörte, ließ die Inschriften beseitigen, dennoch ging die Hetzkampagne weiter. Als er sah, wie sehr sein Freund darunter litt, befahl der Grundstückseigentümer seinen Arbeitern, die Bäume in weitem Umkreis zu fällen, das Kreuz zu entfernen, den Boden einzuebnen und ein Schild mit der Aufschrift »Kein Durchgang« aufzustellen.
Das erzürnte die Leute natürlich noch mehr. Und die Redakteure des Bourguignon Salé witterten eine Chance, von der öffentlichen Empörung zu profitieren, und initiierten eine Sammelaktion, um für Augustine am Tatort ein dauerhaftes Denkmal zu bauen. Es sollte ein zwei Meter hoher steinerner Obelisk werden, der von einem Eisengeländer umringt war. Das Denkmal, schrieben die Journalisten, »wird nicht so leicht zu zerstören sein«. Als »permanenter Protest gegen das Verbrechen« solle es ein Justizsystem anklagen, das »gegen die Reichen machtlos ist und die Armen unterdrückt«.
Vor dem Bau des Denkmals erklärte die Zeitung den 27. August zum Augustine-Mortureux-Tag, an dem es am Grab des Mädchens Demonstrationen geben werde. Mehr als 500 Menschen strömten zum Friedhof. Entlang der Straße boten Händler Notenblätter zu einem Lied an, das die Gräueltat anprangerte. Sein Titel lautete Das Verbrechen im Bois du Chêne , und die Melodie stammte von einem Volkslied. Es erzählte von Augustines Ermordung und fügte der Geschichte ein neues Detail hinzu: eine Biene, die hektisch in ihrem Ohr summte und versuchte, sie vor dem Eichenwald zu warnen: »O Kind mit den sanften Augen, kehr zu deiner Mutter zurück. Flieh aus dem Wald, denn in den Büschen wartet ein Mörder mit dunklen Gedanken. Flieh vor dieser Hyäne.«
Hunderte von Menschen sangen diese Zeilen, als sie zum Friedhof trotteten. Wut lag in der Luft. Madame Ragougé, die Vorsitzende der lokalen Tabakarbeitergewerkschaft, hielt eine bewegende Ansprache und versprach dem toten Mädchen, dass ihr Mörder nicht ungestraft davonkommen werde. »Ruhe in Frieden, liebe Augustine, denn dir wird Gerechtigkeit widerfahren.« Augustines Mutter, die verzweifelt war, dass sie ihre Tochter gezwungen hatte, allein durch den Wald zu gehen, warf sich auf ihr Grab. Und der Vater schrie: »Wenn der Richter sich weigert, Grenier den Kopf abzuhacken, dann tue ich es!«
»Gut so!«, kreischte jemand. »Und niemand würde dich dafür verdammen!«
Irgendwo in der Menge war ein Grollen zu hören, und aus einigen schroffen Rufen und vereinzelten Schreien wurde schließlich ein Sprechgesang und dann ein rhythmisches Brüllen: »Tod dem Grenier! Tod dem Mörder!« Innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich die Trauergemeinde in einen Mob, der nach Rache dürstete.
Grenier und seine Familie, die sich gut einen Kilometer entfernt in ihrem Haus verbarrikadiert hatten, hörten die Schreie. Er hatte zum Schutz mehrere Verwandte zu sich gebeten und sie mit Gewehren bewaffnet. Da die Polizei Unruhen erwartet hatte, hatte sie die Straße mit einer einschüchternden Zahl von bewaffneten Beamten gesperrt.
Dann kam der Mob. Doch als die tobenden Dorfbewohner sahen, wie gut Grenier bewacht war, änderten sie ihre Richtung und suchten sich ein leichteres Opfer. Sie fanden es in Madame Gaumards unbewachtem Haus, das wenige hundert Meter entfernt lag. Sie wussten , dass sie Greniers Komplizin war und dass er sie bestochen hatte, damit sie den Mund hielt. Also umzingelten sie das Haus und bewarfen es mit Steinen. Madame Gaumards Mann war verreist, und sie selbst kauerte mit ihren Töchtern in einer Ecke. Fenster zersplitterten, aber das genügte dem Mob nicht. Also wurde ein provisorischer Rammbock herangeschleppt. Dies war schließlich ein Verbrechen, das nach Rache schrie! Die schwere Holztür wies bereits Risse auf, als endlich ein Trupp Polizisten eintraf und die Menge auseinandertrieb.
Ein paar Monate nach diesem Vorfall nahmen die Ersatzermittler, die Rouards Beschuldigungen glaubten, Grenier wegen Mordverdachts fest und steckten ihn mit zwei Kleinkriminellen – einem Brandstifter und einem Schmuggler – in eine Zelle. Man hatte den beiden ein milderes Urteil in Aussicht gestellt, wenn sie alles berichteten, was Grenier ihnen erzählte. Die Menschen in der Region waren immer noch erbost.
Doch der wahre Mörder war längst weg. Sofort nach dem Mord war Vacher durch den Eichenwald geflohen. Er hatte sich in einem Bach gewaschen, seine blutige Hose ausgezogen, unter der eine saubere steckte, und ein sauberes
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