Der Wandermoerder
Tat anbelangt, kann ich bestätigen, dass alles stimmt, was Sie gesagt haben. Was ist mit den anderen?«
»Die alte Frau in Saint-Ours aß gerade Suppe, als ich sie umgebracht habe.«
»Das stimmt. Reden Sie weiter.«
»Die in Var war die Hübscheste von allen, was für eine Schande! Ich überfiel das Mädchen auf dem Weg und tötete sie in einer kleinen Scheune ein paar Meter entfernt. Gleich danach traf ich einen Mann, der Oliven pflückte, und sprach mit ihm. Er kann Ihnen das bestätigen.«
Fourquet erkannte den Fall Louise Marcel. »Das stimmt genau. Und was war in Allier und in Haute-Loire?«
»In Allier bei Vichy war es eine junge Frau, etwa 20 Jahre alt. Sie hütete ihre Schafe auf einer Wiese. Ich habe ihr den Ehering abgenommen, aber dann doch weggeworfen, damit man mich nicht für einen Dieb hält. Und in Haute-Loire war es ein Mädchen, 15 Jahre alt oder so. Ich habe ihr mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten und sie dann verstümmelt. Auch sie hat auf einer Wiese ihre Herde gehütet. An diesem Morgen war der Nebel so dicht, dass ich schon fürchtete, mich im Wald zu verirren. Aber Gott hat mich beschützt.«
Zwei weitere Fälle wurden aufgeklärt: der Mord an Marie Moussier, die kurz vor ihrem Tod geheiratet hatte, und der Mord an Rosine Rodier, deren Bruder Vacher einen Schrecken eingejagt hatte.
»Und in Saint-Étienne-de-Boulogne in der Ardèche?«, fragte Fourquet in Anspielung auf den Mord an Pierre Massot-Pellet.
»Wenn ich mich nicht irre, war es dort auch ein junger Hirte, vielleicht zwölf oder 15 Jahre alt. Er hat seine Herde gehütet wie die anderen. Das war in den Bergen. Ich habe ihn neben einer Hütte getötet und verstümmelt.«
»Jetzt kommen wir zum letzten Mord, dem in Courzieu bei Lyon«, meinte Fourquet. Hier ging es um Pierre Laurent, dessen Tod Fourquet in den Fall hineingezogen hatte.
»Ach, der … Er ging mit ein paar Kühen die Straße entlang. Es kann nicht später als Mitternacht gewesen sein. Ich habe ihn auf die andere Seite der Hecke gezerrt. Und, glauben Sie, dass ich lüge?«
»Nein, Vacher, diesmal glaube ich Ihnen.«
Später versuchte Fourquet, Vacher mit einem Verbrechen in Zusammenhang zu bringen, das 1890 begangen worden war, doch Vacher leugnete. Zum ersten Mal habe er im Mai 1894 getötet, einen Monat nach seiner Entlassung aus Saint-Robert, behauptete er felsenfest. Vacher erinnerte sich daran, dass er in der Nähe des Dorfes Beaurepaire ein ungefähr neunzehn- oder zwanzigjähriges Mädchen getroffen habe. In einem plötzlichen Wutanfall habe er ihr auf den Kopf geschlagen, sie erwürgt und totgetreten. Dann habe er ihr mit einem Rasiermesser die Kehle und die Brust zerschnitten.
Von diesem Mord hatte Fourquet noch nie gehört. Er schickte der Polizei in Vienne, dem Verwaltungszentrum der Region, in der Beaurepaire lag, ein Telegramm und fragte nach, ob hiervon etwas aktenkundig sei. Innerhalb von Stunden erhielt er die Antwort: Eugénie Delhomme, eine junge Frau, die in der Seidenfabrik gearbeitet hatte, war genau so ermordet worden, wie Vacher es beschrieben hatte. Wenige Tage später klärten sie auf die gleiche Weise den Mord an Aline Alaise auf.
Das Fall erregte in der französischen Presse enormes Aufsehen. Unter Überschriften wie »Der Hirtenmörder«, »Vacher, der Ripper« oder »Der Ripper des Südostens« wurde die Geschichte des schlimmsten Serienmörders seit Jahrhunderten zu einer Sensation, die zeitweise sogar die Dreyfus-Affäre überstrahlte. Reporter strömten in die kleine Stadt Belley und legten das örtliche Telegrafenamt lahm. Eine Menschenmenge versammelte sich um das Gerichtsgebäude, und jeder drängte nach vorne, um einen Blick auf den Verdächtigen zu erhaschen und ihn zu beschimpfen, wann immer er zu sehen war. Vacher schrie zurück: »Lang lebe die Anarchie« oder »Bei Gott, ich bin unschuldig!« Die Lage spitzte sich derart zu, dass Fourquet einen geheimen unterirdischen Gang wieder öffnen ließ, damit die Wärter Vacher in sein Büro bringen konnten, ohne einen Aufruhr auszulösen. Später ging er dazu über, Vacher in dessen Zelle zu verhören – unbewaffnet und unbewacht, um nicht das Vertrauen des Gefangenen zu verlieren.
Die Reporter beschrieben begeistert die Hauptperson und griffen dabei möglichst tief in die Kiste mit den ausdrucksstärksten Adjektiven. »Er ist körperlich ebenso widerwärtig wie moralisch, dieser Krüppel, dessen Gesicht sich krampfhaft zu Grimassen verzerrt, diese Kreatur, die so
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