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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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deformiert ist, dass selbst die hässlichsten Prostituierten abgestoßen sind«, schrieb ein Journalist der Dépêche de Toulouse . »In seinen Augen leuchtet eine wilde Flamme«, meinte ein Reporter des Petit Parisien . Andere bezeichneten ihn als »blutigen Wanderer«, »den Ripper« oder einfach »das Ungeheuer«. Die illustrierten Wochenzeitschriften druckten ganzseitige Lithografien ab, die Vacher beim Abschlachten junger Frauen zeigten, die vor Entsetzen die Augen weit aufrissen, den Mund zum Schrei geöffnet. In einer Zeitschrift zeigten mehrere Bildtafeln Vacher bei einer Serie von Morden. Die Überschrift lautete: »Die Verbrechen eines Monomanen«. Fourquet hingegen war der »Mann der Stunde«, ein Held mit kühlem Kopf und scharfem Verstand, ein populärer Untersuchungsrichter, der selbst die gerissensten Verbrecher psychologisch entlarven konnte.
    Beide Männer versuchten, die Berichte zu beeinflussen. Fourquet gewährte Interviews, ließ die Ergebnisse einiger Verhöre durchsickern und erlaubte gelegentlich Reportern, als Beobachter anwesend zu sein. Vacher seinerseits versuchte, die Journalisten von seiner Geisteskrankheit zu überzeugen, wann immer Fourquet ihm erlaubte, mit ihnen zu sprechen. Er erzählte ihnen die Geschichte vom tollwütigen Hund und bezeichnete sich als »Anarchist Gottes«.
    »Meine Opfer haben nie wirklich gelitten«, behauptete er und versuchte, die Grausamkeit seiner Taten kleinzureden. »Ich packte sie mit einer Hand an der Gurgel, und mit der anderen tötete ich sie.« Alle seine Opfer hätten insgesamt nicht mehr als zehn Minuten leiden müssen.
    Einmal posierte Vacher sogar für einen Zeichner der Lyoner Zeitung Le Progrès . »Nicht schlecht«, meinte er dann, als er das Bild betrachtete. »Aber zeichnen Sie die Augenbrauen nicht so dicht beieinander. Das sieht ja furchterregend aus.«
    Ein andermal gestattete Fourquet einigen Fotografen den Zugang zu Vacher. Der Gefangene willigte jedoch nur ein, sich ablichten zu lassen, wenn sie seine Bedingungen akzeptierten: Er wollte seine weiße Mütze aus Hasenfell tragen, das Symbol der Reinheit, und einen Schlüsselbund in der Hand halten, der, so erklärte er, den Schlüssel zum Himmel symbolisiere. Er hatte ihn von einem Gefängniswärter ausgeliehen.
    Zeitungen schickten Reporter ins Landesinnere, um Vachers Reiseroute nachzuspüren. Einige der lebhaftesten Reportagen schrieb Albert Sarraut in der Dépêche de Toulouse . Er folgte Vachers »blutiger Odyssee«, besuchte Dörfer, interviewte Familienangehörige der Opfer und schilderte ihren Kummer und ihre Verwirrung. Sarraut erzählte Geschichten über die zu Unrecht Beschuldigten, unter ihnen Bannier und Grenier, den Schmerz ihrer Familien und die verstockte Weigerung der Angehörigen der Opfer, die Wahrheit anzuerkennen. Er berichtete von zahlreichen kurzen Begegnungen mit Vacher – vom Akkordeonspiel, vom Unterricht im Schönschreiben. Und er suchte nach frühen Anzeichen für Vachers Neigungen und interviewte Dr. Dufour in der Nervenheilanstalt Saint-Robert, ehemalige Soldaten in Vachers Regiment und den Abt Chevrolat, der das Maristenkloster leitete. Der Abt wollte jedoch nicht über Einzelheiten reden und erklärte nur vage, dass er Vacher aus dem Kloster gewiesen habe, weil er für das Leben dort »ungeeignet« gewesen sei. Insgesamt aber habe der junge Vacher sich ordentlich verhalten: Er sei ruhig gewesen und habe immer seine Arbeit getan.
    Als Sarraut fragte: »Und was halten Sie heute von ihm?«, winkte der Abt nur abwehrend mit der Hand.
    »Es spielt keine große Rolle, ob er geisteskrank ist oder nicht. Wir müssen die Gesellschaft von allem befreien, was sie bedroht. Darum gibt es keine andere Möglichkeit, als ihn zu köpfen.«
    Während Sarraut an seiner Reportage arbeitete, erhielt er einen ergreifenden Brief von zwei Angehörigen Vachers. Sie dankten ihm dafür, dass er nicht die ganze Familie wegen Josephs Verbrechen verurteilte, wie viele andere es getan hatten.
    »Sie sind der Einzige, der unser Unglück und Leid versteht«, schrieben Marius und Léonie Vacher. »Immer wenn ich auf dem Weg in die Schule die Zeitungsverkäufer sehe, habe ich Tränen in den Augen und muss mich umdrehen und einen anderen Weg gehen. Wir sind an dem allen unschuldig, aber wir haben schon begonnen, dafür zu bezahlen. Unser Leben wird lange Zeit traurig bleiben.«
    Die Ermittlungen waren beispiellos in der Geschichte der Polizeiarbeit. Nie zuvor hatten so viele Menschen aus so

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