Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg der gefallenen Sterne: Roman

Der Weg der gefallenen Sterne: Roman

Titel: Der Weg der gefallenen Sterne: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caragh O'Brien , Oliver Plaschka
Vom Netzwerk:
aber, wenn ich jetzt das Zimmer verließ, würde er Rafael schlagen, darum habe ich mich geweigert. Ich dachte, ich könnte Rafael irgendwie beschützen.«
    Er stockte. Sie stellte sich die beiden Brüder vor, der kleinere schutzsuchend hinter dem anderen. Leon strich sich das Haar zurück, dann beugte er sich vor und legte sorgsam die Fingerspitzen zusammen.
    »Mein Vater hat ihn nicht geschlagen«, sagte er ruhig. »Er schrie bloß und schimpfte mit ihm. Zwar drohte er ihm Prügel an, doch er schlug nicht zu. Er krümmte ihm kein einziges Haar.«
    Sie schaute ihn abwartend an. »Das ist doch gut, oder?«
    »Natürlich.« Er richtete den Blick zum nächtlichen Himmel. »Mein Vater hat Rafael oder meine Schwestern nie geschlagen. Immer nur mich. Verstehst du? Bis zu dieser Nacht dachte ich, alle Väter würden ihre Söhne schlagen.« Man hörte ihm noch seinen alten Schmerz, seine alte Verwirrung an. »Ich dachte, was er mit mir tat, wäre normal.«
    Gaia drückte Maya schützend an sich. »Hat er dich denn oft geschlagen?«, fragte sie leise.
    »Nein. Manchmal ist zwei, drei Monate gar nichts passiert, dann schlug er mich zweimal die Woche. Er war unberechenbar. Einmal habe ich seine Lieblingsuhr kaputt gemacht, und er hat es kaum zur Kenntnis genommen. Ein anderes Mal habe ich beim Essen gelacht und mich mit Milch bekleckert, und er hat mich seinen Gürtel spüren lassen. Das war wirklich schlimm.«
    »Es tut mir so schrecklich leid«, sagte Gaia. »Hat Genevieve denn nicht versucht, dich zu beschützen?«
    »Ich glaube, ihr verdanke ich wohl die langen Phasen, in denen nichts passiert ist. Aber was hätte sie auch tun sollen? Es irgendwem sagen?« Er stützte sich auf seine Hand und lehnte sich wieder etwas zurück. »Keine Ahnung, wieso ich überhaupt darüber rede. Ich kenne genug andere Kinder, denen es nicht besser ging.«
    »Deshalb ist es noch lange nicht richtig«, sagte Gaia.
    Er zuckte die Achseln. »Man gewöhnt sich dran.«
    Gaia wusste aber, dass das nicht stimmte. Ihre Eltern waren immer liebevoll zu ihr gewesen, selbst wenn sie sie für etwas zur Rechenschaft zogen. »Das wirklich Schlimme daran ist vor allem die Verachtung, die sie einem damit zeigen.«
    »Verachtung«, sagte Leon nachdenklich. »Ja, ich glaube, das trifft es.«
    »Meinst du, es hatte damit zu tun, dass du vorgebracht warst?«
    »Wahrscheinlich schon. Mich zu adoptieren war die Idee seiner ersten Frau gewesen, nicht seine. Daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Er sagte immer, ich sollte in der Lage sein, über meine eigene Natur hinauszuwachsen.«
    »Als ob du von Grund auf schlecht wärst? Das ist schlimm.«
    »Nicht so sehr schlecht, als einfach … weniger wert . Und irgendwie hatte er ja sogar recht damit.« Er schien sich etwas zu entspannen. »Ich war ein viel schlimmerer Lügner als Rafael. Ich testete gern meine Grenzen aus – und es war die Sache immer wert. Ich war schlecht in der Schule und beim Sport. Ich konnte zwar ganz gut laufen, gab mir aber keine Mühe, wenn er zusah. Auf die Art machte es mir nichts aus, wenn er nicht auftauchte. Das Einzige, was ich gut hinbekam, war die Zwillinge zum Lachen zu bringen. Ich konnte stundenlang mit ihnen spielen. Es war toll.«
    Sie lächelte und dachte daran, wie gut er sich mit Maya verstand. »Kann ich mir vorstellen.« Die Mondsichel verschwand hinter einer langsam dahintreibenden Wolke, und es wurde noch eine Spur dunkler. »Hieß deine erste Adoptivmutter Fanny?«
    »Ja, Fanny Grey. Wieso?«
    Sie dachte an die Worte des Protektors – dass es Fanny das Herz brechen würde, dass Leon nun einen anderen Nachnamen trug. Ihm das jetzt zu erzählen, wäre aber kaum hilfreich. »Weil du dann ja ihren Namen angenommen hast.«
    »Ja, nachdem er mich verstieß.« Er scharrte mit dem Stiefel auf der Treppe. »Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich nicht sein größter Fehlschlag war. Ich glaube, er wollte seine Vorurteile gegen die Menschen aus Wharfton abbauen, indem er einen Jungen von draußen großzog. Dann stellte sich heraus, dass er mich nicht leiden konnte, und da war ich nun, inmitten seiner Familie, und machte alles kaputt.« Er wischte imaginären Staub von seinem Knie. »Wem konnte er denn die Schuld daran geben, wenn nicht sich selbst?«
    Sie spann den Gedanken noch etwas weiter. »Und dann das Unglück mit Fiona – ich glaube, ich verstehe jetzt.« Natürlich hatte der Protektor nicht sich, sondern Leon die Schuld gegeben. Er hatte jahrelang nur das Schlechte an ihm

Weitere Kostenlose Bücher