Der Weg der gefallenen Sterne: Roman
gemocht.«
»Autsch.«
»Ich weiß.«
»Du irrst dich aber«, sagte Leon. »Ich hätte sie schon von mir überzeugt – sie hätten gesehen, wie glücklich du mit mir bist.«
»Du hast sie verhaftet.«
»Stimmt – aber ich war ein anderer, bevor ich dich kennenlernte.«
»Jetzt würdest du so was doch nicht mehr machen, oder?«
»Ich würde deiner Mutter Blumen bringen und deinem Vater mit den Näharbeiten helfen.«
Sie lachte wieder. Es ging ihr schon besser. »Er wollte nie Hilfe beim Nähen.«
»Ich könnte ihm also nicht mal das Nadelkissen reichen?«
Sie lächelte. »Nein.«
»Na, dann hast du vielleicht recht – klingt hoffnungslos.«
Sie rutschte etwas näher, bis sie mit dem Knie gegen sein Bein stieß.
»Besser?«, fragte er zärtlich.
»Dieser Tag war einfach ein bisschen viel.«
»Er kann nicht viel schlimmer gewesen sein als das, was ich mir ausgemalt habe. Evelyn hat mir erzählt, dass sie dich direkt zum Gefängnis gebracht haben.«
Sie nickte geistesabwesend und ließ den Blick über die dunklen Häuser der Nachbarschaft schweifen. »Sie haben mir Blut abgenommen. Mehrere Röhrchen. Angeblich besitze ich ein Gen gegen Hämophilie und bin Blutgruppe Null negativ.«
»Welcher Arzt war das?«
»Sein Name war Hickory.«
»Der hat früher mit Persephone Frank gearbeitet«, überlegte Leon. »Ansonsten kann ich nicht viel über ihn sagen. Hat er sonst noch was gemacht?«
»Er hat mir irgendeine Spritze gegeben, ich weiß nicht, was es war. Und er hat mir Herz und Lunge abgehört.«
»War das in einem Behandlungszimmer? Und alles freiwillig?«
Gaia wollte nicht mehr darüber reden. Auch wenn es keinen Grund dafür gab, schämte sie sich doch für ihre Angst in Zelle V. Sie senkte den Kopf und konzentrierte sich auf Maya, die ihre kleinen Finger unschuldig zusammengerollt hatte. »Sie haben mich gefesselt und geknebelt«, sagte sie. »Dann haben sie mich in Zelle V gesteckt und dort allein gelassen.« Sie atmete tief durch. Ich bin zusammengebrochen.
Leon war sehr still geworden.
»Ich darf jetzt keine Angst haben«, sagte sie. »Die Leute brauchen mich. Ich darf keine Angst haben.«
»Iris«, sagte er.
Sie hob den Blick. Sein Gesicht war im fahlen Mondlicht wie aus Stein gehauen.
»Niemand hat mich auch nur angefasst«, fuhr sie fort. »Aber alles, woran ich denken konnte, warst du und was sie dir angetan haben. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Angst. Ich habe total die Kontrolle verloren, nur durch meine eigene Einbildung. Iris liebt solche kranken Spiele, nicht wahr? Wieso tut er so was?«
»Er ist einfach so«, sagte Leon. »Er weiß so was einfach. Es ist, als verfügte er über das perfekte Einfühlungsvermögen, nur dass er es dazu benutzt, Leuten wehzutun. Mit mir hat er das auch gemacht. Als sie mich folterten – damals, als du gerade ins Ödland geflohen warst –, hat er be hauptet, sie hätten dich gefangen genommen. Er hat gesagt, sie hätten dich in einer anderen Zelle, und er könnte mit dir tun, was immer er wollte. Ich wusste nicht, dass er log.«
»Das hast du mir nie gesagt.«
»Es war furchtbar. Ich habe es kaum ausgehalten. Und da wusste ich nicht mal, dass ich dich liebe.« Er zog sie an sich und schloss sie und Maya in die Arme. »Weißt du noch, wie du sagtest, es gäbe Dinge, über die wir nicht reden? Genau das will ich nicht mehr. Bitte schließ mich nicht aus, egal, was es ist. Nichts könnte schlimmer sein, als wenn du mir nicht sagst, was dich beschäftigt.«
In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie ihm nicht nur vertrauen konnte – er brauchte ihr Vertrauen. Er wünschte sich das: vertrauenswürdig zu sein. Sie fühlte, wie sich in ihr etwas, das bisher verschlossen gewesen war, für ihn öffnete. So war es also, Leon wirklich nahe zu sein, ihn einzulas sen. Sie studierte die Dunkelheit in seinen Augen, und als er ihren Blick erwiderte, umspielte ein fragender Ausdruck seine Lippen. Er legte ihr die warme Hand auf die Wange.
»Verrückt, was ich für dich empfinde«, sagte er.
Sie lachte wehmütig. »Ich wünschte, wir könnten einfach irgendwo hin, bloß du und ich und Maya. Einfach alles zurücklassen.«
»Dafür ist es jetzt zu spät, selbst wenn es dir ernst wäre.« Er lockerte seine Umarmung etwas, sodass sie sich bequemer an ihn schmiegen konnte.
Eine Grille zirpte. Nach der überbordenden Geräuschkulisse New Sylums war es ein seltsam dünner, trockener Klang.
»Ich vermisse die Glühwürmchen«, sagte sie. »Weißt du
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