Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
… nun ja, sie war zwar besonders freundlich, aber doch nicht sehr klug.
Mit einem Seufzen verließ Schallan den Raum und kehrte zu ihren Studien zurück. Sie würden Schallan von ihren Sorgen ablenken, und überdies sah Jasnah es nicht gern, wenn sie allzu lange irgendwo herumtrödelte.
Fünf Stunden später fragte sich Schallan, warum der Gedanke an die Abreise sie so entsetzt hatte.
Sie genoss die Gelegenheit, forschen zu dürfen. Aber seit einiger Zeit hatte Jasnah sie an das Studium der Alethi-Monarchie gesetzt. Das war nicht gerade ein sehr interessantes Gebiet. Ihre Langeweile wurde noch dadurch befördert, dass sie zahlreiche Bücher lesen musste, deren Ansichten sie als lächerlich empfand.
Sie saß in Jasnahs Alkoven im Schleier, dem Raum mit den vielen logenartigen Balkonen, in denen die Leser die Bücher studierten, die sie aus dem Palanaeum geholt hatten. Die gewaltigen Wände voller Lichter, Nischen und geheimnisvoller Forscher verursachten kein Gefühl der Ehrfurcht mehr bei ihr. Dieser Ort wurde ihr immer vertrauter und angenehmer. Im Augenblick war sie allein hier.
Schallan rieb sich die Augen mit der Freihand und schloss ihr Buch. »Allmählich hasse ich die Alethi-Monarchie«, flüsterte sie.
»Ach, wirklich?«, fragte eine ruhige Stimme hinter ihr. Jasnah kam herein und wurde von einem Parscher gefolgt, der ihren Bücherstapel trug. »Ich werde versuchen, das nicht persönlich zu nehmen.«
Schallan zuckte zusammen und errötete heftig. »Ich meinte das nicht persönlich, Hellheit Jasnah, sondern ganz allgemein.«
Mit geschmeidigen Bewegungen nahm Jasnah in dem Alkoven Platz. Heute trug sie ein seidig glänzendes violettes Kleid.
Sie hob eine Braue, sah Schallan an und bedeutete dem Parscher, er möge seine Last abladen.
Für Schallan stellte Jasnah noch immer ein Rätsel dar. Manchmal wirkte sie wie eine strenge Wissenschaftlerin, die über Schallans Unterbrechungen wütend war, aber bisweilen schien auch eine Spur von trockenem Humor hinter der ernsten Fassade zu liegen. Wie dem auch sei, Schallan fühlte sich in der Gegenwart dieser Frau jedenfalls erstaunlich wohl. Jasnah ermutigte sie, stets ihre Meinung zu sagen, was Schallan sehr gern tat.
»Aus deinem Gefühlsausbruch schließe ich, dass dir dieses Thema allmählich zuwider ist«, sagte Jasnah und betrachtete ihre Bücher, nachdem sich der Parscher zurückgezogen hatte. »Du hast doch dein Interesse am Dasein einer Gelehrten ausgedrückt. Nun, dies hier gehört auch dazu.«
»Ein Argument nach dem anderen, und zwar von Personen, die sich weigern, einen anderen Standpunkt als ihren eigenen anzuerkennen?«
»Sie sind selbstsicher.«
»Ich bin keine Expertin für Selbstsicherheit, Hellheit«, sagte Schallan, hielt ein Buch hoch und betrachtete es mit kritischem Blick. »Aber ich glaube, ich erkenne sie, wenn ich sie sehe. Ich bin nicht der Meinung, dass es der richtige Ausdruck für solche Bücher wie dieses hier ist, das von Mederia stammt. Mir erscheint es eher anmaßend als selbstsicher.« Sie seufzte und legte das Buch beiseite. »Um ehrlich zu sein, auch anmaßend ist nicht das richtige Wort. Es scheint mir nicht genau genug.«
»Und was wäre das richtige Wort?«
»Ich habe keine Ahnung. Irrmaßend vielleicht.«
Skeptisch hob Jasnah eine Braue.
»Das bedeutet, doppelt so sicher zu sein wie jemand, der bloß anmaßend ist«, erklärte Schallan, »während man lediglich ein Zehntel der benötigten Fakten kennt.«
Ihre Worte entlockten Jasnah die Andeutung eines Lächelns. »Das, wogegen du dich wendest, wird die Selbstsicherheitsbewegung genannt, Schallan. Dieses irrmaßend ist ein literarisches Stilmittel. Die Gelehrten überbewerten ihre Sache absichtlich.«
»Die Selbstsicherheitsbewegung?«, fragte Schallan und hielt eines ihrer Bücher hoch. »Ich hätte selbst dahinterkommen sollen.«
»Ach ja?«
»Ja. Aus dieser Position ist es viel einfacher, ihr einen Stoß in den Rücken zu versetzen.«
Diese Bemerkung lockte nur eine erhobene Augenbraue hervor. Also fuhr Schallan ernsthafter fort: »Ich glaube, ich verstehe dieses Mittel, Hellheit, aber die Bücher, die Ihr mir über König Gavilars Tod gegeben habt, werden bei der Verteidigung ihrer Argumente immer … irrationaler. Was als rhetorischer Dünkel begonnen hat, scheint zu bloßem Beschimpfen und Streiten geworden zu sein.«
»Sie versuchen, zu einer Debatte anzustacheln. Wäre es dir denn lieber, wenn die Wissenschaftler sich wie so viele andere vor
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