Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
vorhin mitgebracht hatte. Es waren weitere Werke über die Epoche der Herolde – Mythologien, Kommentare, Bücher von Wissenschaftlerinnen, die als wilde Spekulantinnen bekannt waren. Das Buch, das sich Jasnah gerade vorgenommen hatte, lautete Schatten der Erinnerung . Schallan merkte sich den Titel. Sie würde versuchen, ein Exemplar davon zu finden und es durchzusehen.
Wonach suchte Jasnah eigentlich? Welche Geheimnisse hoffte sie aus diesen Büchern zu erfahren, von denen die meisten immerhin viele Jahrhunderte alt waren? Obwohl Schallan bereits einige geheime Informationen über den Seelengießer gefunden hatte, war ihr die Natur von Jasnahs Suche – und der Grund, warum die Prinzessin nach Kharbranth gekommen war – noch immer nicht klargeworden. Es machte sie ganz verrückt und spornte sie gleichzeitig an. Jasnah sprach gern über die großen Frauen der Vergangenheit, die nicht nur die Geschichte aufgezeichnet, sondern sie auch mitgestaltet hatten. Was immer es sein mochte, wonach sie hier forschte, es musste jedenfalls sehr wichtig sein. Ungeheuer wichtig für die ganze Welt.
Du darfst dich nicht zu sehr hineinziehen lassen, sagte Schallan zu sich selbst, während sie sich mit ihrem Buch und ihren Notizen beschäftigte. Dein Ziel ist es nicht, die Welt zu verändern, sondern deine Brüder und dein Haus zu schützen.
Doch sie musste sich als würdiges Mündel erweisen. Und das war ein guter Grund, zwei Stunden lang in ihrer Lektüre
zu versinken, bis sie Schritte von draußen aus dem Gang hörte. Vermutlich brachten die Diener das Mittagessen. Jasnah und Schallan speisten oft in ihrer Loge.
Schallans Magen knurrte, als sie das Essen roch, und in Vorfreude legte sie ihr Buch beiseite. Für gewöhnlich zeichnete sie beim Mittagsmahl; dies war eine Tätigkeit, zu der Jasnah sie trotz ihrer Ablehnung der bildenden Künste immer wieder ermunterte. Sie sagte, adlige Männer seien oft der Ansicht, dass die Fähigkeit, malen und zeichnen zu können, bei einer Frau verführerisch sei, und daher solle Schallan ihre Talente üben, und sei es nur, um damit geeignete Verehrer anzulocken.
Schallan wusste nicht, ob sie das als beleidigend empfinden sollte oder nicht. Und was sagte es über Jasnahs eigene Heiratsabsichten aus, wenn sie sich nie um solche weiblichen Künste wie Musik oder Kunst kümmerte?
»Euer Majestät«, sagte Jasnah und erhob sich leise.
Schallan zuckte zusammen und warf einen hastigen Blick über die Schulter. Der ältliche König von Kharbranth stand in der Tür; er trug eine großartige, reich bestickte Robe in den Farben Orange und Weiß. Schallan sprang hastig auf.
»Hellheit Jasnah«, sagte der König, »störe ich Euch?«
»Eure Gegenwart ist nie störend, Euer Majestät«, sagte Jasnah. Sie musste genauso überrascht sein wie Schallan, zeigte aber nicht das geringste Anzeichen von Unbehagen oder Ängstlichkeit. »Wir wollten ohnehin bald eine Mittagspause einlegen.«
»Ich weiß, Hellheit«, sagte Taravangian. »Ich hoffe, es stört Euch nicht, wenn ich Euch dabei Gesellschaft leiste.«
»Keineswegs«, sagte Jasnah.
Die Diener eilten herbei und legten zwei verschiedene Decken auf den runden Tisch, damit die Geschlechter während der Mahlzeit getrennt blieben. Sie beschwerten die halbmondförmigen Stoffe – Rot für den König und blau für die Damen – mit Gewichten, die sie in die Mitte des Tisches legten. Abgedeckte
Teller voller Speisen wurden nun aufgetragen: ein klarer, kalter Eintopf mit süßem Gemüse für die Frauen und eine würzig riechende Brühe für den König. Die Kharbranthier aßen gern Suppen zu Mittag.
Schallan war überrascht, dass auch für sie eingedeckt wurde. Ihr Vater hatte nie am selben Tisch wie die Kinder gegessen. Selbst sie, sein Liebling, war an einen eigenen Tisch verbannt worden. Als Jasnah saß, nahm auch Schallan Platz. Ihr Magen knurrte wieder, und der König bedeutete ihnen, mit dem Mahl zu beginnen. Im Vergleich zu Jasnahs Eleganz wirkten seine Bewegungen allerdings eher plump.
Bald aß Schallan zufrieden – mit Anmut, genauso wie eine Frau es tun sollte. Sie hielt die Schutzhand im Schoß und spießte mit der Freihand Frucht- und Gemüsestücke auf. Der König schlürfte zwar, war dabei aber nicht ganz so laut wie viele andere Männer. Warum hatte er sich dazu herabgelassen, sie zu besuchen? Wäre eine formelle Einladung zum Abendessen nicht angemessener gewesen? Sie wusste inzwischen, dass Taravangian für eine strenge Befolgung des
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