Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
der Wahrheit verstecken? Glaubst du, dass die Menschen Unwissenheit bevorzugen?«
»Wenn ich diese Bücher lese, wirken Wissenschaft und Unwissenheit ziemlich ähnlich auf mich«, sagte Schallan. »Unwissenheit mag aus dem Sich-Verstecken vor der Klugheit erwachsen, aber Wissenschaft ist oft nichts anderes als Unwissenheit, die sich hinter Klugheit versteckt.«
»Und was ist mit Klugheit ohne Unwissenheit? Wie steht es mit dem Herausfinden der Wahrheit, ohne die Möglichkeit des Irrtums zu verwerfen?«
»Das ist ein mythologischer Schatz, so wie die Dämmerungssplitter oder die Ehrenklingen, Hellheit. Sie sind es wert, dass man danach sucht, allerdings nur mit größter Vorsicht. «
»Vorsicht?«, fragte Jasnah und runzelte die Stirn.
»Ja. Wisst Ihr, das würde Euch berühmt machen. Aber es tatsächlich zu finden, könnte uns alle vernichten. Wenn Ihr beweisen könntet, dass jemand sowohl klug sein als auch die Klugheit jener anerkennen kann, die nicht mit ihm übereinstimmen, würde dies die gesamte gelehrte Welt ins Wanken bringen.«
Jasnah atmete tief ein. »Du gehst zu weit, mein Kind. Wenn du nur die halbe Energie, die du auf deine Gewitztheit verwendest, in deine Arbeit stecken würdest, dann könntest du eine der größten Wissenschaftlerinnen unserer Zeit sein.«
»Es tut mir leid, Hellheit«, sagte Schallan. »Ich … nun, ich bin vielleicht etwas verwirrt. Im Hinblick auf die Lücken in meiner Erziehung hatte ich angenommen, dass Ihr mir auftragen würdet, Ereignisse zu studieren, die nicht bloß ein paar Jahre in der Vergangenheit liegen.«
Jasnah schlug eines ihrer Bücher auf. »Ich habe gelernt, dass junge Menschen wie du nur wenig Neigung zur fernen Vergangenheit verspüren. Daher habe ich ein Studiengebiet ausgewählt, das ziemlich spektakulär ist und dich an die wahre Wissenschaft heranzuführen vermag. Ist die Ermordung eines Königs für jemanden wie dich etwa nicht interessant?«
»Doch, Hellheit«, sagte Schallan. »Wir Kinder lieben alles, was glitzernd und laut ist.«
»Manchmal bist du ziemlich vorlaut.«
»Manchmal? Meint Ihr damit, dass ich es nicht immer bin? Ich werde …« Schallan verstummte, biss sich auf die Lippe und erkannte, dass sie wieder einmal zu weit gegangen war. »Entschuldigung.«
»Entschuldige dich niemals dafür, klug zu sein, Schallan. Damit schaffst du ein schlechtes Beispiel. Allerdings solltest du deine Klugheit bedächtiger anwenden. Oft sagst du einfach das erste halbwegs Kluge, was dir in den Sinn kommt.«
»Ich weiß«, gab Schallan zu. »Das ist schon seit langer Zeit eine Schwäche von mir, Hellheit. Meine Kindermädchen und Lehrerinnen haben sich viel Mühe gegeben, sie mir auszutreiben. «
»Vermutlich durch harte Strafen.«
»Ja. Eine bevorzugte Methode bestand darin, dass ich mich in die Ecke setzen und den Kopf in die Bücher stecken musste.«
»Und das hat dich gelehrt, noch schneller zu sprechen«, bemerkte Jasnah mit einem Seufzer, »denn du wusstest ja, dass du deine vorlauten Bemerkungen herausbringen musstest, bevor du dich eines Besseren besinnen konntest.«
Schallan hielt den Kopf schräg.
»Diese Bestrafung war unsinnig«, sagte Jasnah. »Bei jemandem wie dir wirkte sie sogar eher wie eine Ermunterung. Ein Spiel. Wie viel musstest du sagen, um endlich bestraft zu werden? Konntest du etwas so klug hervorbringen, dass deine Lehrerinnen die Anspielung erst gar nicht verstanden? Das Sitzen in der Ecke hat dir die nötige Zeit verschafft, über passende Erwiderungen nachzudenken.«
»Aber es ist unschicklich für eine junge Frau, so viel zu reden wie ich.«
»Das einzig Unschickliche daran ist, dass du deine Intelligenz nicht kanalisierst, Schallan. Denk doch einmal nach. Du hast dir selbst etwas beigebracht, das dem gleicht, was dich bei den Wissenschaftlerinnen ärgert: gedankenlose Klugheit – man könnte auch sagen: Intelligenz ohne richtiges Nachdenken. « Jasnah drehte ein Blatt um. »Irrmaßend, oder etwa nicht?«
Schallan errötete.
»Ich mag es, wenn meine Mündel klug sind«, sagte Jasnah. »Dann habe ich mehr Möglichkeiten, also mehr, womit ich arbeiten kann. Ich sollte dich an den Hof mitnehmen. Zumindest der Schelm würde dich amüsant finden – und sei es auch nur, weil deine scheinbare natürliche Schüchternheit und deine kluge Zunge eine so bemerkenswerte Kombination abgeben.«
»Ja, Hellheit.«
»Vergiss nie, dass der Verstand einer Frau ihre kostbarste Waffe ist. Sie darf nicht ungeschickt oder zur
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