Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
hatte schon einmal von so etwas gelesen; sie war zutiefst beeindruckt. Jasnah hatte den Felsblock in Rauch umgewandelt, und da dieser weitaus weniger dicht war als Stein, hatte die Verwandlung den Rauch explosionsartig verbreitet.
Es stimmte also: Jasnah besaß wirklich einen funktionierenden Seelengießer. Und überdies einen sehr mächtigen. Neun von zehn Seelengießer waren in der Lage, einige kleinere Umwandlungen vorzunehmen; sie konnten Wasser oder Getreide aus Stein oder einfache Gebäude mit nur einem einzigen Raum aus der Luft oder aus Stoff erschaffen. Aber ein größerer wie der von Jasnah war in der Lage, jegliche Umwandlung vorzunehmen. Er konnte buchstäblich jede Substanz in eine andere verwandeln. Wie sehr musste es den Feuerern missfallen, dass eine so mächtige, heilige Reliquie in den Händen von jemandem lag, der sich außerhalb der Feuerei befand. Und dazu war sie noch eine Häretikerin!
Schallan kam taumelnd auf die Beine, hielt sich noch immer das Tuch vor den Mund und atmete feuchte, aber staubfreie Luft ein. Sie schluckte, in ihren Ohren knackte es erneut, als der Druck im Gang wieder normal wurde. Einen Augenblick später hastete der König in den jetzt wieder zugänglichen Raum. Darin saß ein kleines, hustendes Mädchen zusammen mit einigen Kindermädchen und weiteren Dienern. Der König zog das Kind in seine Arme. Es war noch so jung, dass es keinen Schicklichkeitsärmel nötig hatte.
Jasnah öffnete die Augen, blinzelte und wirkte, als werde sie von ihrer Umgebung verwirrt. Sie holte tief Luft und hustete nicht. Sie lächelte , als genieße sie den Geruch des Rauches.
Jasnah wandte sich an Schallan und sah sie eindringlich an. »Du wartest noch auf eine Antwort. Ich fürchte, sie wird dir nicht gefallen.«
»Aber Ihr habt meine Prüfung noch nicht abgeschlossen«, sagte Schallan und zwang sich, mutig zu sein. »Bestimmt wollt Ihr vorher noch kein Urteil abgeben.«
»Ich habe sie noch nicht abgeschlossen?«, fragte Jasnah und zog die Stirn kraus.
»Ihr habt mich noch nicht nach den weiblichen Künsten gefragt. Ihr habt Zeichnen und Malen ausgelassen.«
»Dafür hatte ich noch nie viel übrig.«
»Aber sie gehören doch zu den Künsten«, sagte Schallan und spürte, wie sich ein Gefühl der Verzweiflung in ihr ausbreitete. Auf diesen Gebieten war sie am besten! »Viele halten die visuellen Künste für die kultiviertesten. Ich habe meine Mappe mitgebracht und möchte Euch gern zeigen, was ich kann.«
Jasnah schürzte die Lippen. »Die visuellen Künste sind eine Frivolität. Ich habe die Fakten gegeneinander abgewogen, mein Kind. Ich kann dich nicht aufnehmen. Es tut mir leid.«
Schallan sank das Herz.
»Euer Majestät«, sagte Jasnah zu dem König, »ich würde gern zum Palanaeum gehen.«
»Jetzt?«, fragte der König, der seine Enkelin noch immer im Arm hielt. »Wir werden ein Fest feiern …«
»Das freut mich«, meinte Jasnah, »aber ich habe alles im Überfluss – außer Zeit.«
»Natürlich«, sagte der König. »Ich werde Euch persönlich hinbringen. Vielen Dank für das, was Ihr getan habt. Als ich hörte, dass Ihr um Zugang batet …« Er schwatzte weiter auf Jasnah ein, die ihm wortlos den Korridor entlangfolgte und Schallan hinter sich zurückließ.
Sie drückte die Mappe gegen ihre Brust und nahm das Tuch vom Gesicht. Sechs Monate des Nachjagens für das . Sie packte den Stoff vor Verzweiflung so fest, dass rußiges Wasser zwischen ihren Fingern herausfloss. Sie wollte weinen. Und sie
hätte es vermutlich auch getan, wenn sie noch dasselbe Kind wie vor sechs Monaten gewesen wäre.
Doch die Dinge hatten sich verändert. Vor allem sie hatte sich verändert. Wenn sie versagte, würde das Haus Davar fallen. Schallan spürte, wie ihre Entschlossenheit noch stärker wurde, auch wenn sie nicht verhindern konnte, dass einige Tränen der Verzweiflung aus ihren Augenwinkeln tropften. Sie würde nicht eher aufgeben, als bis Jasnah gezwungen war, sie in Ketten zu legen und von der Obrigkeit abführen zu lassen.
Mit erstaunlich festem Schritt ging sie in die Richtung, in der Jasnah verschwunden war. Vor sechs Monaten hatte sie ihren Brüdern einen Plan der Verzweiflung präsentiert. Sie wollte sich in die Abhängigkeit der Gelehrten und Häretikerin Jasnah Kholin begeben. Jedoch nicht um erzogen zu werden. Und auch nicht um des Ansehens willen. Sondern weil sie in Erfahrung bringen wollte, wo sie ihren Seelengießer aufbewahrte.
Und dann würde Schallan ihn
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