Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
»Ich würde ihm keine Waffe anvertrauen. Es stimmt zwar, dass er ein Mörder ist, aber er ist auch bekannt dafür, dass er ungehorsam sein kann und Aufstände gegen seine Herren anzettelt. Ich könnte ihn Euch nicht als Soldaten verkaufen. Mein Gewissen würde es nicht erlauben.« Er zögerte. »Es wäre möglich, dass er die Männer in einem Wagen mit seinem Gerede über Flucht verdorben hat. Mein Ehrgefühl gebietet es mir, Euch das zu sagen.«
Kaladin biss die Zähne zusammen. Er war versucht, den Soldaten hinter ihm niederzuringen, seinen Speer zu ergreifen und seine letzten Augenblicke damit zu verbringen, diesen in Tvlakvs üppigen Bauch zu rammen. Warum nur? Was ging es denn Tvlakv an, wie Kaladin in dieser Armee behandelt wurde?
Ich hätte die Karte nicht zerreißen sollen, dachte Kaladin. Bitterkeit wird einem öfter vergolten als Freundlichkeit. Das war eines der Sprichwörter seines Vaters.
Die Frau nickte und ging weiter. »Zeig mir, welche ich nehmen soll«, sagte sie. »Ich kaufe sie wegen deiner Ehrlichkeit. Wir brauchen ein paar neue Brückenmänner.«
Tvlakv nickte eifrig. Bevor er ebenfalls weiterschritt, hielt er jedoch inne und beugte sich zu Kaladin herüber. »Ich kann nicht darauf vertrauen, dass du dich gut benimmst. Die Leute in dieser Armee werden mich dafür verantwortlich machen, wenn ich nicht alles sage, was ich weiß. Es … es tut mir leid.« Mit diesen Worten eilte der Sklavenhändler davon.
Ein Knurren drang tief aus Kaladins Kehle, dann machte er sich von den Soldaten frei, blieb aber in der Reihe stehen. Dann sei es eben so. Bäume fällen, Brücken bauen, in der
Armee kämpfen – es war doch alles egal. Er würde einfach weiterleben. Sie hatten ihm seine Freiheit, seine Familie, seine Freunde genommen, und dann – was ihm das Kostbarste gewesen war – auch seine Träume. Sie konnten ihm nichts mehr antun.
Nach ihrer Begutachtung nahm die Adlige ein Schreibbrett von ihrer Dienerin entgegen und warf ein paar rasche Bemerkungen auf das Papier. Tvlakv gab ihr ein Kontobuch, in dem verzeichnet stand, wie viel jeder Sklave bereits von seiner Schuld abbezahlt hatte. Kaladin erhaschte einen Blick darauf; dort stand, dass keiner der Männer bisher etwas bezahlt hatte. Vielleicht log Tvlakv ja. Das war nicht unwahrscheinlich.
Diesmal würde Kaladin seinen gesamten Lohn zur Tilgung seiner Schulden benutzen. Sollten sie sich doch winden, wenn er sie beim Wort nahm. Was würden sie tun, wenn er tatsächlich irgendwann kurz davor stand, seine Schulden zu tilgen? Vermutlich würde er es nie herausfinden – je nachdem, was diese Brückenmänner verdienten, würde er zwischen zehn und fünfzig Jahre brauchen, um so weit zu kommen.
Die helläugige Adlige teilte die meisten Sklaven zur Waldarbeit ein. Ein halbes Dutzend der Schwächeren wurden in die Kantinen geschickt, trotz ihrer früheren Bemerkung. »Und diese zehn«, sagte die Adlige und zeigte mit ihrer Rute auf Kaladin und die anderen aus seinem Wagen, »werden zu den Brückenmannschaften gebracht. Sagt Lamaril und Gaz, dass der Große eine Sonderbehandlung bekommt.«
Die Soldaten lachten, und einer von ihnen schob Kaladins Gruppe nun den Pfad entlang. Kaladin ertrug es. Diese Männer hatten keinen Grund, freundlich zu sein, aber er würde ihnen auch keinen Grund liefern, noch gröber zu sein. Wenn es eine Gruppe gab, die Bürgersoldaten noch mehr hassten als Söldner, dann waren es Fahnenflüchtige.
Auf dem Weg bemerkte er das Banner, das über dem Lager flatterte. Es trug dasselbe Symbol, das auch auf den Mänteln
der Soldaten zu sehen war: ein gelbes Glyphenpaar in Gestalt eines Turms und eines Hammers auf tiefgrünem Feld. Das war das Wappen des Großprinzen Sadeas, des Herrschers über Kaladins Heimat. Was für eine Ironie des Schicksals, dass Kaladin ausgerechnet hier gelandet war!
Die Soldaten rekelten sich faul herum – auch diejenigen, die im Dienst zu sein schienen, und die Pfade im Lager waren mit Abfall übersät. Es gab viel Gefolge: Huren, Arbeitsfrauen, Küfer, Kerzenzieher und Streitsucher. Es rannten sogar Kinder über die Straßen der Ansiedlung, die halb eine Stadt und halb ein Kriegslager war.
Überdies gab es hier Parscher. Sie trugen Wasser, arbeiteten an Gräben und hoben Lasten. Das erstaunte ihn. Kämpften sie nicht gegen die Parscher? Hatten sie keine Angst, dass sie sich erheben konnten? Offenbar nicht. Die Parscher hier arbeiteten genauso gefügig wie diejenigen zu Hause in Herdstein. Vielleicht
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