Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
Tiere gefunden hatten, war vom Jungen keine Spur gewesen.
Der
chigha
brach kurz vor Sonnenaufgang auf. Die Männer durchsuchten die Hügel, die trockenen felsigen Schluchten und Klammen. Zur Vorhut gehörte ein erfahrener Fährtenleser, aber der harte, kiesige Boden bot keinen Anhalt. Die Spur des Jungen verlor sich kurz hinter der Stelle, an der man seine grasenden Tiere aufgefunden hatte.
Es war schon Nachmittag, und im Suchtrupp dachten einige daran, eine Rast einzulegen, als man die Entdeckung machte. In einem der Hohlwege ohne Ausgang saß auf einer flachen Felsplatte, halb umgeben von Dorngestrüpp, ein barhäuptiger bärtiger Mann. Vor ihm lag ein ausgeweideter Junge, während nicht weit davon entfernt ein anderer, noch lebender, mit dem Turban des Mannes an einen Baum gefesselt war.
Der Mann unternahm keinen Versuch zu fliehen, als der Suchtrupp sich näherte. Er blieb gelassen auf dem Felsen sitzen. Seine Augen waren mit einem Firnis von Irrsinn überzogen, und er fuhr sich unbeirrt weiter mit den Fingern durch den Bart und lächelte, obwohl Dutzende von Stimmen Fragen auf ihn herabschrien. Nach einer Weile war es offensichtlich, dass der Mann – wer immer er sein mochte – den Verstand verloren hatte und nichts mehr sah oder hörte.
In ihrer Wut erschossen die Angehörigen des toten Jungen den Mann, doch dann gerieten sie in Angst und Schrecken. Es hieß, dass Wahnsinn Nähe zu Gott bedeutete, und wer einem Wahnsinnigen ein Leid zufügte, forderte Seinen Zorn heraus. Dann befreiten sie den anderen Jungen, der, während all das geschah, an den Baum gefesselt gewesen war. Er war jung, kaum zwölf oder dreizehn Jahre alt. Und er trug ein kleines silbernes Amulett an einer Schnur um den Hals. Sie nahmen an, dass er das nächste Opfer des Wahnsinnigen gewesen wäre. Der Junge sprach und verstand ihre Sprache, aber er hatte einen merkwürdigen Akzent, den sie mit keinem Stamm in Verbindung bringen konnten. Ebenso wenig wusste der Junge ihnen zu sagen, wo er herkam, sodass man ihn zu seinen Eltern hätte zurückbringen können.
Sie nahmen den Leichnam des Opfers und den fremden Jungen mit. Die Leiche des bärtigen Verrückten ließ man, wo sie war, und deckte sie lediglich hastig mit Steinen und Felsklumpen zu. Die Eltern des toten Bhittani-Jungen nahmen den Neuankömmling in ihre Familie auf. Sie gaben ihm den Namen, den ihr Sohn getragen hatte: Tor Baz, Schwarzer Falke.
Von sich selbst erzählte er ihnen zwar nichts, wohl aber sagte er ihnen den Namen des Toten.
»Er hieß Mullah Barrerai«, flüsterte der Junge eines Tages seiner Pflegemutter zu. »Mullah Barrerai?« Sie klang verwirrt. Dann kämpfte sich eine halbvergessene Erinnerung an die Oberfläche, und sie begann plötzlich vor unterdrückter Erregung zu zittern. Sie huschte zur Höhlenöffnung und rief laut zu ihrem Mann: »Tor Baz sagt, dass der Mann, den du getötet hast, Mullah Barrerai war! Barrerai der Verfluchte, Barrerai der Teufel!«
Der Mann stürzte herein und packte den Jungen an der Schulter. »Bist du sicher?«, fragte er außer sich. »Erzähl uns mehr! Hat er dir etwas von seinem Gold gesagt? Erzähl uns alles, was du über ihn weißt! Hat er mit dir über die Vergangenheit geredet, der böse alte Mann?«
Verblüffung zeigte sich im Gesicht des Jungen. »Er hat nichts von irgendwelchem Gold gesagt! Er sprach von der Vergangenheit, und er war kein böser Mann! Beschimpfe ihn nicht, denn er hat für mich gesorgt, als ich ohne einen Menschen war! Dann hat ihn der Wahnsinn gepackt. Gold und Geld bedeuteten ihm nichts!«
»Ha«, rief die Frau höhnisch aus, »Tor Baz, du kennst den Mullah nicht. Er war der leibhaftige Teufel! Seine Habgier ist sprichwörtlich unter den Stämmen. Er stahl unser Gold. Und wahrlich, er behexte dich!«
»Nein«, widersprach der Junge entschieden. »Ich wusste alles, was es zu wissen gab. Der Mullah war kein böser Mann. Möge Gott euch das Unrecht nachsehen, das ihr ihm antut!«
Tor Baz lebte ungefähr zwei Jahre lang bei den Bhittanis. Eines Tages drängte ihn sein Pflegevater wieder, seinen Stamm zu nennen. Er schwieg verstockt. Am nächsten Tag war er verschwunden.
Es war seltsam, aber so wenig sich irgendjemand für den Verbleib des lebenden Jungen interessierte, so deutlich blieb der tote Mullah in jedermanns Gedächtnis. Noch lange nach seinem Tod kamen Fremde zu den Bhittanis, um sie nach den Umständen seines Todes zu befragen. Dann gab es noch einen alten Offizier der Scouts, der ihm ein
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