Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
schlachten und einen bunten Abend zu veranstalten. Unser Kommandant schickte einen Boten in die nahegelegene Stadt, und ein paar Tage später traf eine kleine Truppe von Musikanten samt Singjungen und -mädchen im Fort ein. An jenem Abend, einige Zeit nachdem wir uns in unsere Stuben zurückgezogen hatten, brach im Lager ein Tumult aus, dem einige Gewehrschüsse folgten. Wir eilten hinaus in die Dunkelheit und erfuhren, dass ein Soldat versucht hatte, über eines der Tanzmädchen herzufallen, worauf der für die Tanztruppe verantwortliche Mann ihr zu Hilfe geeilt war. Im Handgemenge eröffnete der Soldat mit seinem Gewehr das Feuer und traf den Beschützer des Mädchens an der Schulter.
Als ich am nächsten Morgen den Verwundeten im Krankenhaus besuchte, wen fand ich da vor? Meinen alten Bekannten Mullah Barrerai. Es war eine ziemliche Überraschung, dass ausgerechnet er als Impresario der Tänzerinnen fungierte. Barrerai war nicht im mindesten verlegen und erklärte mir, dass er das schon ein paarmal gemacht habe, dass es aber noch nie zu solchen Gewaltakten gekommen sei wie vergangene Nacht. Mit ihm sei alles in Ordnung, aber er hoffe, dass dem Mädchen nichts zustoßen werde. Ich versicherte ihm, dass die Mädchen und der Rest der Truppe bereits auf dem Weg in die Stadt seien. Daraufhin verbesserte sich seine Laune beträchtlich, und er begann sich zu erkundigen, wie die Aussichten für ihn stünden, bei uns eine Anstellung zu bekommen. Ich sagte ihm, dass ich da erhebliche Zweifel hätte, insbesondere da sein Ansehen bei den Soldaten nach dem Zwischenfall von vergangener Nacht mit Sicherheit gelitten habe.
Ich besuchte Mullah Barrerai während seines gesamten Krankenhausaufenthalts regelmäßig. Er war sich nie besonders im Klaren über seine Pläne. Manchmal sprach er davon, sich für eine Weile in der Stadt niederzulassen. Manchmal äußerte er sich kritisch über das Leben in der Stadt und überlegte, nach Norden zu gehen, wo er seit einigen Jahren nicht mehr gewesen sei. Er war ein seltsam gestörter Mensch, und hinter all seinen Reden spürte man einen Unterton von Sorge und Angst; ein Gefühl des Gescheitertseins. Ja er hob zu mehr als einer Gelegenheit die Vorzüge eines sesshaften Lebens hervor, doch nur um dem sofort entgegenzusetzen, er selbst sei nun einmal nicht dafür geschaffen, dauerhaft an einem Ort zu bleiben.
Eines Tages, als ich ihn wie gewohnt besuchen wollte, erfuhr ich, dass er plötzlich und ohne jemandem etwas zu sagen, gegangen war. Ich war enttäuscht, andererseits war es typisch für ihn. Er hasste es, gebunden zu sein – egal ob an einen Ort oder an einen Menschen.
Seit einigen Monaten war es in der Umgebung unserer Grenzposten und Forts ruhig, ja unnatürlich ruhig zugegangen. Selbst die üblichen Anschläge durch Heckenschützen und Saboteure von Telegrafenleitungen hatten aufgehört. Diese Ruhe verhieß nichts Gutes und machte uns nicht wenig Sorge, denn der Zweite Weltkrieg war schon ausgebrochen, und jeder ernste Zwischenfall auf unserer Seite der Grenze hätte die Regierung in ernste Verlegenheit gebracht. Wir hielten die Ohren offen, konnten aber nichts Verdächtiges feststellen.
Eines Abends erhielt ich von einem der Ausfalltore die Mitteilung, ein Mann wolle mich in einer sehr dringenden Angelegenheit sprechen. Argwohn war durchaus angebracht, also trafen wir alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen, ehe das Tor geöffnet wurde, um den Besucher hereinzulassen. Er wurde zu mir ins Wachlokal geführt. Der Fremde hatte seine Mundpartie mit dem Ende seines Turbanstoffs vermummt. Sobald die anderen den Raum verlassen hatten, offenbarte er sich als ein Wazir-Soldat, der ungefähr ein Jahr zuvor von einem unserer Posten desertiert war.
›Mullah Barrerai schickt mich‹, sagte er. ›Er hat mir befohlen, dir eine Nachricht zu überbringen. Er lässt ausrichten: Sage meinem Freund, dem Hauptmann, dass ihm und seinen Männern große Gefahr droht und er sich in Acht nehmen muss.‹
›Von welcher Seite droht die Gefahr, und woher weiß Mullah Barrerai davon?‹, fragte ich.
›Die Gefahr droht von den Deutschen, euren
farangi
-Feinden. Schon seit einiger Zeit lassen sie über Mullah Barrerai Gelder, Waffen und Munition verteilen und allerlei Versprechungen machen. Auf ihr Betreiben hin wiegelt er die Stämme auf mit der Aussicht, in der Ebene grenzenlos Beute zu machen, sobald die Briten ihre Herrschaft eingebüßt haben. Die Zeit ist jetzt reif, um einen heiligen Krieg gegen die
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