Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jamil Ahmad
Vom Netzwerk:
und es nicht zwecklos gewesen sein sollte. Sie werden sich sagen, dass es nicht weit bis in die Ebene ist und, sobald wir, unsere Kamele und unsere Schafe die Ebene erreicht haben, wir uns verstreuen können, damit uns keiner zusammentreiben und zurückschicken kann. Wenn wir das schaffen, werden sie sich sagen, dann schaffen wir es auch, auf diese Weise ein Jahr herumzubringen, und wer weiß, was nächstes Jahr sein wird. Denen möchte ich nur sagen, dass wir gründlich nachdenken müssen. Unsere Wanderung wird von nun an nicht mehr sorglos und leicht sein wie die eines Bauern, der durch seine Felder streift, oder eines Adlers, der am Himmel kreist. Von nun an werden alle Augen auf uns gerichtet sein, und wir werden wie ein Dieb sein, der von einer wütenden Horde eine Stadtstraße entlanggejagt wird. Er kann sich nirgendwo verstecken, denn zu beiden Seiten gibt es nur Ziegelmauern oder geschlossene Türen. Wenn der arme Dieb in einem solchen Fall plötzlich vor einer Ziegelmauer steht, so stirbt er. Der Pöbel tötet ihn. So sieht die Sache aus. Zwischen uns und der Ebene gibt es zwei Forts. Sie werden auf uns warten. Inzwischen haben sie mit Sicherheit klare Befehle, und es wird ihre Aufgabe sein, uns aufzuhalten. Was sagt ihr?«
    Es gab tatsächlich zwei Optionen, aber für die Männer, die da dicht aneinandergedrängt um das Feuer saßen und über deren Gesichter das Licht züngelte, existierte die erste nicht. Die Hoffnung stirbt nicht wie ein Tier – rasch und plötzlich. Sie ähnelt eher einer Pflanze, die langsam dahinwelkt. Nicht eine Stimme erhob sich zugunsten der ersten Möglichkeit. Falls jemand Zweifel hatte, behielt er sie für sich. Und so wurde beschlossen, weiterzuziehen.
    Am nächsten Morgen schlug die Karawane vorgeblich den Rückweg ein, zurück nach Afghanistan.
    Ein paar Kilometer außerhalb der Stadt zog sie dann in einem weiten Bogen zurück zu der Route, die zur Ebene von Pakistan führte. Das Manöver schien zu funktionieren, denn niemand verfolgte sie. Nach zwei Tagesmärschen – sie hatten das erste Fort noch nicht erreicht – sahen sie sich einer Abteilung von Soldaten gegenüber, die ihnen den Weg versperrte.
    »Ihr könnt nicht weiter«, sagten die Soldaten zu ihnen. »Wir haben unsere Befehle.«
    »Was passiert, wenn wir es versuchen?«, fragten die
pawindahs
.
    »Man hat uns befohlen, wenn nötig zu schießen. Die Befehle sind unmissverständlich«, sagte der diensthabende
subedar
betrübt. »Macht es uns nicht schwer.«
    »Für uns ist es auch nicht einfach«, bemerkte Dawa Khan. »Unsere Tiere haben seit über zwei Tagen kein Wasser mehr gehabt, und wenn wir jetzt kehrtmachen, werden sie nicht überleben. Erlaubt uns, sie an den Quellen in der Nähe des nächsten Forts zu tränken, und dann kehren wir zurück.«
    »Ich kann euch das nicht gestatten«, sagte der
subedar
. »Ich muss tun, was man mir befohlen hat.«
    »Aber ohne Wasser werden unsere Tiere sterben. Du willst sie doch bestimmt nicht töten.«
    »Ich sage dir, ich habe keine Wahl. Ich darf euch nicht passieren lassen.«
    »Also gut«, sagte Dawa Khan. »Wir haben dich gehört, und du hast uns gehört. Wir werden hier unser Lager für die Nacht aufschlagen.
    In dieser Nacht schlich sich die Karawane am Fort vorbei. Der diensthabende Offizier wurde bereits am nächsten Tag über Funk seines Amts enthoben. Jetzt stand nur noch ein Fort zwischen den
pawindahs
und der Ebene – wenn sie nur daran vorbeikommen könnten. Dawa Khans
kirri
erreichte das Fort noch vor dem Morgengrauen, aber die Soldaten erwarteten sie schon. In dem Moment, als sie die Bewegung der Herden hörten, eröffneten sie das Feuer mit Leuchtpatronen.
    Eine Megaphonstimme erklärte: »Das ist eine Warnung. Kehrt um. Der Weitermarsch erfolgt auf euer eigenes Risiko.«
    »Schon gut, schon gut!«, rief Dawa Khan durch aneinandergehaltene Hände. »Erlaubt uns, unsere Tiere zu tränken, und wir machen kehrt.«
    »Oh nein, das werdet ihr nicht!«, erwiderte das Megaphon. »Wir fallen auf eure Tricks nicht herein!«
    »Wir kehren zurück. Das verspreche ich dir«, schrie Dawa Khan. »Unsere Kamele dürfen nicht verdursten.«
    »Ich gestatte euch nicht, näher zu kommen. Wenn ihr es tut, eröffnen wir das Feuer. Dass das klar ist!«, brüllte das Megaphon zurück.
    Die Frauen hatten diesen Wortwechsel zwischen ihren Männern und den Soldaten mit angehört. Gul Jana rief ihrem Ehemann zu: »Dawa Khan, ich gehe voran. Die Kamele dürfen nicht sterben. Ich

Weitere Kostenlose Bücher