Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
näherte, schien sich dessen Bauch zu öffnen. Der verblüffte Mann setzte sich hinein, und die Wände des Bauches schlossen sich um ihn. Dann trottete der Esel los und trug ihn – glaubt mir! – geradewegs nach Mekka, und der arme Mann verrichtete den Hadsch. Dieser Mann starb vor langer Zeit. Er weilt jetzt mit Sicherheit im Paradies. Ich kann mir vorstellen, wie er nach seinem schweren Aufenthalt auf Erden inmitten der Huris sitzt, die blendend schön und lieblich sind und Brüste besitzen, wie ihr sie euch in euren kühnsten Träumen nicht ausmalen könnt. Brüste, so groß, dass eine Krähe einen ganzen Tag und eine ganze Nacht bräuchte, um von einer Warze bis zur anderen zu fliegen! Ich kann mir vorstellen, wie er durch einen kühlen Wald streift, wo die Bäume Weinbeeren tragen, so groß wie Wasserkrüge, und eine einzige Beere ausreicht, um euren Hunger zu stillen und euren Durst zu löschen und auch noch in ihrem Saft zu baden, so ihr es wünscht!‹
Als die Geschichte endete, stieß die verzückte Gemeinde einen vernehmbaren Seufzer der Freude aus, und sie zerstreute sich nur langsam, während wir zu unserem Lager zurückschlenderten und uns dabei über den Dorfmullah unterhielten. Als wir das Lager erreichten, hatten wir bereits entschieden, dass wir den Mullah zum Abendessen einladen würden. Unser Bote kam fast umgehend zurück und richtete aus, der Mullah wolle wissen, was es zu essen gab, und er werde nur kommen, wenn es auch Fleisch gäbe.
Mullah Barrerai, wie er sich uns vorstellte, war ein begeisterter Esser und erwies sich auch als ein großartiger Gesellschafter. Wir stellten außerdem zu unserer Überraschung fest, dass er völlig frei von Vorurteilen war. Wir waren fremd in der Gegend, aber im Laufe des Gesprächs wurden wir etwas kühner und begannen mit ihm eine Diskussion über die Predigt dieses Abends. ›Sag uns, glaubst du wirklich an die Geschichte mit dem Esel?‹, fragte ich ihn.
›Nein‹, kam die Antwort, wie aus der Pistole geschossen.
›Glaubst du an Huris mit Brüsten, so groß, wie du sie beschrieben hast, oder Weinbeeren von der Größe von Wasserkrügen?‹
›Nein.‹
›Warum hast du dann diese Lügen erzählt?‹, fragte ich ihn.
Auf meine Frage hin begann Mullah Barrerai zu lachen. ›Ihr versteht das nicht‹, sagte er. ›Das sind keine Lügen. Diese Geschichten sind wie eine lindernde Salbe oder wie ein Stück Eis, mit dem im Sommer ein Glas Wasser gekühlt wird. Würdest du dieses Stück Eis eine Lüge nennen?‹ Dann fuhr er fort: ›Was haben diese Menschen schon? Unter normalen Bedingungen kaum genug zu essen und zu trinken, und in ein paar Monaten, wenn der Sommer beginnt, werden die meisten ihrer Quellen versiegen. Die nächsten paar Monate lang werden sie Hoffnung ebenso sehr benötigen, wie ein Mann in der Stadt Eis in seinem Wasser braucht, und die schenke ich ihnen. Wenn du möchtest, kannst du das ruhig Lügen nennen.‹
›Wir nennen das in der Tat immer noch Lügen, aber wir verstehen.‹
Wir blieben über eine Woche in dem Lager, und während dieser Zeit erfuhren wir, welch wichtige Rolle der Mullah in dieser Stammesgesellschaft spielte. Die Menschen kamen mit den verschiedensten Problemen zu ihm – Streitigkeiten um Grundbesitz, Eheproblemen, Diebstählen, Verdacht auf Hexerei, Morden oder Stammeszwisten. Barrerai besuchte uns jeden Abend, und es stellte sich heraus, dass er ein weitgereister Mann war und im Laufe der Jahre bei fast allen Grenzstämmen gelebt hatte. Bevor wir das Lager abbrachen, teilte er uns mit, dass er in ein paar Tagen die Gemeinde verlassen würde. Das überraschte uns nicht allzu sehr, denn aus allem, was er uns von sich erzählt hatte, war uns klargeworden, dass er ein Wanderer war und ab und an einen Ortswechsel brauchte. Dies bestätigte nicht nur, dass er ein ungewöhnlicher Mensch war, sondern erst recht ein ungewöhnlicher Mullah, denn jeder andere hätte einen Ort, an dem er sich einen Platz in der Gesellschaft und ein sicheres Auskommen erarbeitet hatte, nur äußerst widerwillig verlassen.
Sobald wir abgereist waren, vergaßen wir ihn völlig. Es war kaum zu erwarten, dass wir ihn jemals wiedersehen würden, aber seltsamerweise kreuzten sich unsere Wege doch wieder, und zwar unter recht ungewöhnlichen Umständen. Wir hatten unsere Soldaten eine anstrengende einmonatige Einsatzübung absolvieren lassen und fanden, dass sie etwas Entspannung verdienten. Also beschloss man, ein paar Schafe für sie zu
Weitere Kostenlose Bücher